Kunst für alle! Roger M. Buergel, das depressive Bürgertum und die D 12
von Thomas Leuner
Das Publikum ist begeistert. Endlich einmal eine Documenta, die nicht
wie ein Ufo vom anderen Stern gelandet ist. Man kann hingehen! Sie
holt einen dort ab, wo man steht. Da wird süßen Chinesenkindern
Joghurt ins Gesicht geträufelt, die glucksen dann so nett. Überall
liegt Material herum – wie das durch die Welt wandert! Die schönen
chinesischen Holzstühle. Man kann über das Leben in Indien etwas
lernen, oder in Kurdistan Männer singen sehen, nette Leute bei einem
Segeltörn beobachten., auch der berühmte Maler Gerhard Richter zeigt
seine hübsche Tochter mit roten Lippen, und Harvey Keitel spielt
richtiges Theater – nicht so ein Gebrüll und Rumgespritze. Auch die
Museumsräume sehen aus wie richtige Museen: warme Farben, Stimmung
zum Nachdenken und die Beleuchtung zeigt, was wichtig ist. Ja, und
das Leid der Welt ist auch da: die Opfer der Globalisierung in
Afrika, die Palästinenser und die Amerikaner mit ihrem Guantanamo, so
ein Lager wie Auschwitz. Und ganz wichtig: kein Internet und digitale
Verwirrungen. Und tatsächlich, die Führer der D 12 bestätigen die
Sensation: „die erste Documenta ohne aggressive Besucher!“
Der Schock für die Kulturschaffenden und Sammler sitzt tief. Aber
Vorboten gab es genug. Mit dem Team Buergel und Co wurde konsequent
auf Ethno-Kunst, Spiritualität, soziale Kulturarbeit, Anthroposophie
und ökologisch-sinnlichen Minimalismus gesetzt. Ein Gedankenspektrum,
das schon immer tief im wertkonservativen Bildungsbürgertum verankert
ist und traditionell einen Teil der zeitgenössischen Kunst ausmacht.
Nur eine entscheidende Änderung gibt es: Es ist so, als hätte man den
Jungs von der Weltmusik die Leitung eines internationalen Pop-
Festivals anvertraut. Und die hätten nur ihr „Ding“ durchgezogen.
Denn konsequent ist das Buergelsche Gesamtkunstwerk: Es beginnt bei
den Hemdchen der Aufsicht – weiß, mit Schleifen links und rechts zu
binden -, geht über die Möblierung und Gestaltung der Räume als
ethnologisches Museum, die Konstruktion der Auehallen als
Sommertreibhaus einer Öko-Gärtnerei, das bevorzugte Zwielicht, die
Materialien aus dem Bastelladen, den Tanz als Eurythmie, die Schumann-
Lieder auf dem Audio-Guide, die begleitenden Worte des Chefs selbst
als Narkotikum.
Nichts verstört nachhaltig, die Kunstwerke sind auf „sauber“ gedimmt,
ein Wohlfühlprogramm. Der Poesie des Einfachen soll nachgespürt, dem
rosaroten Sonnenuntergang wieder Kunstwert zuerkannt werden.
Verqueres ertrinkt im Meer des Wohlsein-Müssens, und wenn diskutiert
wird, dann darüber, was die Kunst in uns ausgelöst hat. Damit hat
Roger M. Buergel gegen den Konsens der bisherigen elf Documentas
verstoßen, der hieß: einen Überblick über das aktuelle Kunstschaffen
zu geben und nach vorne aufzubrechen.
Buergel ist ein Überzeugungstäter. Endlich darf die Minderheit zur
Mehrheit werden. Das kommt gut an, das wird als Widerstand gegen den
Kunstmarkt und seine Auswüchsen mit Szenenapplaus bedacht. Sogar das
Flaggschiff des depressiven Bürgertums, das Feuilleton der Neuen
Züricher Zeitung, zeigte tiefes Verständnis. Kritik ist von Buergel
von vorneherein antizipiert. Gerwald Rockenschaub Post Punk, David
Goldblatt mahnend, Gerhard Richter Betty 1977, Allan Sekula
Globalisierungsgegner, James Coleman Retake with Evidence, Harvey
Keitel Film, alles wird zu einem zähen Brei vermahlen.
Hat die Findungskommission für die Documenta 12 mit den Buergels
einen schwerwiegenden Fehlgriff gemacht? Nein! Sie folgte dem
Zeitgeist. Und der spiegelt das verunsicherte Bürgertum wieder:
Finanziell geschwächt, eingekreist von Ökonomisierungsfantasien,
verfolgt von den Machtansprüchen der Politik und einer medialen
Öffentlichkeit, die Bildung als Behinderung bewertet. Es wurde die
Notbremse gezogen: Back to the roots - Prinzip „Stadttheater“, auf
sicheren Boden.
Für die Fotografie – wie auch für Video – hat das katastrophale
Folgen. Das Medium wird auf die reine Dokumentation und das
journalistische Erzählen reduziert. Der korrekte Inhalt reicht, um
als Kunst zu avancieren. Als besondere austro-nostalgische Variante
wird die Performance-Fotografie der Hippie- und Underground-Bewegung
der frühen Breschnew Ära (1964 -) präsentiert – jeder Dissident ein
Künstler.
Aber machen wir uns nichts vor, diese Positionen und deren geistigen
Hintergrund finden wir auch alltäglich in den großen Häusern: Ludger
Derenthal im Fotomuseum Berlin mit "Philipp Schönborn: Licht" (2004);
Tobia Bezzola im Kunstmuseum Zürich mit Miroslav Tichy (2005); Heiner
Bastian, “Fragmente zur Melancholie. Bilder aus dem ersten
Jahrhundert der Fotografie“, Neues Museum (2006) und so weiter.
Aber das ist auch ein Zeichen der Krise, aber nicht die Krise der
Künstler, sondern die des Kulturbetriebs und des gesellschaftlichen
Gefüges. Wo Hedge-Fonds-Ereignisse auf dem zweiten Kunstmarkt zu
kulturellen Ereignissen hochgeschrieben werden, Kritiker
Dienstleister des Marktes sind, autistische Kuratorentexte die
Kommunikation mit dem Publikum verweigern, öffentliche Posten als
Lehngüter behandelt werden – um nur einige Positionen zu nennen –,
ist die Frustration des Publikums vorprogrammiert.
Für diesen negativen Befund liefert Klaus Biesenbach, der Übervater
der Kunstwerke Berlin, ein aktuelles Beispiel. In einem Gespräch mit
der Frankfurter Allgemeinen Zeitung unter dem Titel „Verfolgen Sie
die Kunst, Herr Biesenbach?“ (FAZ vom 2.7.07) wurde ihm eine ganze
Seite gewidmet. Nun sollte man ja meinen, dass er auch über die D 12
Tacheles reden würde. Aber nein, ausführlich informiert er uns über
sein Junggesellendasein, seine Methoden, Koffer zu packen, seinen
Abscheu vor den Autos und sonstige privaten Marotten. Als Experte zur
D 12 befragt, sagt er nur: „Kassel hat mich völlig ratlos gemacht.
Mehr möchte ich dazu nicht sagen.“ Tja, das macht eben auch ratlos.
Zwar ist sein offenes Messer in der Tasche spürbar, doch bleibt nur
eitles PR-Gequatsche, Diskursunwilligkeit und eben auch mangelnde Courage.
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