Blättern in "camera" - Anmerkungen zum Bild-Blog
von Thomas Leuner
Bild-Blog www.fotokritik.de/imgblog_9.html
Im Zentrum des Blätterns in "camera" steht die „neue amerikanische Farbfotografie“. Diese Farbfotografie hatte in den 70er Jahren einen entscheidenden Einfluss auf die europäische Kunstfotografie. Vorgestellt wurde sie damals durch ihre Publikationen in den „camera“ Heften. Dabei ist das Schlüsselheft die Ausgabe Nr. 7/ Juli des Jahres 1977, die der zweiten Generation der Farbfotografen gewidmet ist. Ergänzt wird sie im Blog durch Seiten aus den Heften Nr.1/ Januar 1977 und Nr.11/ November 1976 mit Arbeiten von Stephen Shore und William Eggleston. Auch für das heutige digital gesättigte Auge wird eindrucksvolle deutlich, wie Farbe in der Fotografie genutzt werden kann. Historisch besonders reizvoll ist der Vergleich mit dem Heft Nr.8/August 1981. Hier sind erste eigenständige Arbeiten einer „neuen deutschen Fotografie“ zu sehen - eindeutig noch im Zustand der Verpuppung.
Drei weitere Blätterbeispiele veranschaulichen das redaktionelle Spektrum und den inhaltlichen Zugriff des Redakteurs Allan Porter. Die damalige Fragestellungen sind bis heute aktuell und befeuern noch immer die Diskussionen in der zeitgenössischen Fotografie.
Die Ausgabe Nr.11/November 1972 beschäftigt sich mit den Arbeiten der
amerikanischen Fotografin Diane Arbus. Die durch Selbstmord umge-kommene Arbus wird als dokumentarische Porträtistin einer Welt in Aufruhr beschrieben und nicht als die Fotografin der „Freaks", Ecke „verrückte Künstler". Die weitere Rezeption ihrer Werke bestätigt diese Einschätzung. Trotz vielerlei literarischer Spekulationen über ihr Werk - allen voran der Essay von Susan Sontag in „Über Fotografie“ - gehört Diane Arbus zu den Fotografinnen der „emotionalen Präsenz", einer Präsenz des Fotografen und des Fotografierten. Dieser künstlerische Zugang geht auf die Lehrerin und Fotografin Lisette Model zurück, deren fotografisches Konzept sich deutlich von der bis heute aktuellen „beobachtenden Fotografie“ eines Walker Evans, Robert Frank, Joel Sternfeld oder Philip-Lorca diCorcia absetzt. Deshalb ist Diane Arbus für Fotografinnen der zeitgenössischen europäischen Fotografie die Referenz in Sachen Portrait. Wie bei Rinek Dijkstra wird der emotionale Zustand als Inszenierungsmittel genutzt. Am spektakulärsten wird dies bei ihren Torero-Portraits umgesetzt, die Aufnahmen entstehen unmittelbar nach der blutigen Tat.
Der Blickpunkt „Dritte Welt“ wird von „camera“ im Heft Nr.1/Januar 1980 aufgegriffen. Das Coverbild stammt von Akinbode Akinbiyi – einem teilweise in Deutschland lebenden nigerianischen Dokumentar-fotografen,der zur ersten Generation afrikanischer Kunstfotografen gehört. Am Beispiel der panamaischen Fotografin Sandra Eleta wird das Konzept von „camera“ deutlich: das Außereuropäische wird in seiner Fremdheit belassen. WeitereBilder von Sandra Eleta sind zu finden unter www.elangelcaido.org/fotografos/seleta/seleta 16.html
Diese Stimmen für eine authentische außereuropäische Fotografie sind
lauter geworden. Ein gutes Beispiel ist das Küchentischgespräch über das Buch "Africa" des brasilianischen Fotografen Sebastião Salgado mit dem Titel: „Wir sind nur Flora und Fauna!“. Teilnehmer des von Sabine Vogel für die Berliner Zeitung moderierten Gesprächs waren Akinbode Akinbiyi, Santu Mofokeng und Sylvester Ogbechie. Hier ein kurzer Ausschnitt aus dem Gespräch, der die Brisanz der Thematik zeigt:
„... AKINBODE: Bei Salgado hungern auch nicht alle. Aber er foto-grafiert die Menschen in dieser heroischen Riefenstahl'schen Ästhetik. Und er fügt in diesem Buch neuere Bilder hinzu, die er "Genesis" nennt. Das sind menschenleere, ja großartige Landschaften aus der Namib Wüste von 2005.Und Tiere! SANTU: Das ist eben das alte koloniale Projekt. Afrika wird auf Fauna und Flora reduziert. Und wir sind die Fauna da drin. Wir sind der Zoo für die europäischen Betrachter. Wir Eingeborenen kennen das gut und lange. SYLVESTER: Hier, dieses Foto eines Himba-Mädchens - das ist ein total pornografisches Bild vom Leid. Dabei ist sie jung, gesund, hinter ihr die herrliche Rinderherde, alles sehr idyllisch. Das ist eine super Postkarte, verkauft sich bestimmt gut.
Was ist daran pornografisch? Weil sie nackt und schön ist?
AKINBODE: Ich kann diese Art Fotos nicht mehr ertragen. Diese Leute leben scheinbar noch in der heilen, archaischen Welt der Jäger und Sammler. Lasst diese Leute doch in Ruhe. Sie haben nicht darum gebeten, fotografiert zu werden. Sie haben auch nichts davon. Im Gegenteil. Sie sind bloße Dekoration eines unreflektierten, antiquierten kolonialen Weltbildes. Ich meine, Riefenstahl machte das in den 60er-Jahren, Salgado ist vielleicht etwas subtiler und technisch versierter, aber er macht das bis heute. Warum? ...“
zu finden unter: www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv Suchwort:
Sabine Vogel
Akinbode Akinbiyi war 1980 ein völlig unbekannter Fotograf (auch noch
Autodidakt) und doch hat Allan Porter das Cover-Bild für die Nr.1/1980 aus seinen Arbeiten ausgewählt.
Der Zugriff auf historische Fotografie des 19. Jahrhunderts lässt sich aus dem Heft Nr.6/Juni 1979 ablesen. Die redaktionelle Auswahl der Bilder betont die geschichtliche Narration, den nicht überbrückbaren Graben zur heutigen Bildwelt. Dabei zeigt sich die Daguerreotype als das kongeniale bildnerische Mess- und Bildverfahren, mit dem die visuellen Fremdheiten der Epoche in Kleidung, Gebärde und Physiognomie darstellbar sind. Sie tritt in ein produktives Spannungsverhältnis zu dem Fundus an Fantasien, die der Betrachter bei der Lektüre der Literatur des 19. Jahrhunderts entwickelt hat. Der Weg über die Daguerreotype in die frühe Fotografie ist nicht mehr zeitgemäß, ihm haftet der Makel des Historismus an. Die große aktuelle Vorliebe gilt der Fotografie auf Papier (Abzüge), die wegen des Fehlens technischer Möglichkeiten unscharf, überstrahlt und skizzenhaft wirkt und eine ideale Projektionsfläche für mythische Verklärung und archaische Romantik liefert. In dieser Vorliebe spiegelt sich die Stagnation der Rezeption des Mediums wieder, es wird, verunsichert durch die Flut des Digitalen, der malerähnlichen Kunst der Vortritt gelassen. Deutlich ist diese neokonservative Haltung an der Fotosammlung Heiner Bastians abzulesen, deren Titel „Fragmente der Melancholie" ideologisches Programm ist. (Katalog bei Hatje-Cantz, 2007). Wie dieser Trend auch für die zeitgenössische Fotografie behauptet wird. „Kontinuität der Irritation“ heißt das bei Andrea Gnam in der NZZ vom 3./4. März 2007. „Aller technischer Inno-vationen zum Trotz wirkt die Fotografie unserer Tage wie aus einer anderen Zeit“. Bezeugen sollen dies: Chuck Close, Elger Esser, Hiroshi Sugimoto, Joel-Peter Witkin, Cindy Sherman und andere.
www.nzz.ch/2007/03/03/li/articleEXVSC.html
Man sieht, kaum blättert man in einigen „camera“- Heften, so steht man
schon mitten in der Diskussion über die zeitgenössische Kunstfoto-grafie. Denn schnell wird deutlich, dass das Konvolut der„camera“- Hefte das Bildkompendium über die Kunstfotografie des 20. Jahrhunderts ist. Über das rein Archivarische hinaus wird auch eine eigenständige mediale Kunsttradition für Fotografie formuliert, die zwischen der traditionellen Fotogeschichte und der Deutung als gegenständliche Malerei durch die Kunstwissenschaften steht. Parameter ist die Aktualität der Fragestellungen. Wie die drei Beispiele des Bild-Blogs zeigen, arbeitet „camera“ direkt am Medium und an den damit arbeitenden Künstlern, was die Kontinuität der Fragestellungen bis heute garantiert. Ganz im Gegensatz zum öffentlichen Diskurs, der sich „über die Fotografie“ hermacht und die Fotografie als exis-tierendes zeitgenössisches Medium ausklammert. Hier zeigt sich die besondere Qualität der 60 Jahrgänge „camera“.
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