Leuners „fortlaufende Anmerkungen“ Nr.1, April/Mai 2003
von Thomas Leuner
In den „fortlaufenden Anmerkungen“ stelle ich kurz aktuelle Ereignisse der Fotografie vor, die mir erwähnenswert erscheinen. Meine Anmerkungen zu diesen Ereignissen sollen zu weiterem Diskurs anregen. Um in diesem Sinne das Medium Internet zu nutzen, habe ich alle im Artikel angesprochenen Einrichtungen vorab informiert und ihnen die Möglichkeit der Stellungnahme gegeben. In dieser Ausgabe hat davon nur Rudolf Kicken gebraucht gemacht. Siehe unter 3.
1. Die Fluchtbewegung
Der Poptheoretiker und Professor an der Merz-Akademie Dietrich Diederichsen, schrieb in der „Tageszeitung“
www.taz.de/pt/.archiv/suche.am 16. April 2003 über den experimentellen Film und seiner Suche nach einem Asyl in der bildenden Kunst. Der Titel lautete: „Von den Aufgaben der Bilder“. Dietrich Diederichsen knüpfte dabei an den Boom der Video-Kunst an und an den Wechsel vom „White Cube“, den weißen Ausstellungsraum, zum „Black Cube“, den dunklen Kino-Raum. Die Dokumenta 11 (im letzten Jahr) macht das sehr deutlich. Überwiegend wurden die Räume mit Monitoren (klassische Video-Kunst) oder Beamern (Projektion der klassischen Filmkunst) bestückt. Thematisch handelt es sich bei der neuen Video-Kunst um ambitionierte Projekte, die sich sehr dokumentarisch geben. Von der Ästhetik her greifen sie deutlich auf 100 Jahre Filmgeschichte zurück. Noch in den siebziger Jahren wären solche „Filme“ auf Experimentalfilm-Festivals gezeigt worden.
Diesen Artikel von Dietrich Diederichsen www.gretchenverlag.de/Rezensionen/diedrichsen habe ich bei einer Veranstaltung im Münchener Stadtmuseum www.stadtmuseum-online.de/filmmusem
wieder gefunden. Er war auf dem Programmzettel für die Vorstellung der Filme Sharon Lockarts abgedruckt. Die Sammlung Goetz präsentierte an diesem Abend einige Filme von Sharon Lockart, die sich im Grenzbereich zwischen Filmfestival und bildenden Kunst bewegten.
Anmerkung: Ich finde diesen Gedanken des Asyls (der nicht ganz neu ist) auch für die Fotografie fruchtbar. Es gibt Parallelen.
Zum Beispiel: In den Print-Medien ist eine narrative Reportagefotografie völlig verschwunden und durch die Illustrationsfotografie verdrängt worden. Wo sind die Leute, die Kultur und ihre Bedürfnisse für diese Art von Fotografie geblieben? Sind sie einfach nur verschwunden? (Das wäre die Position des Kulturpessimisten.) Oder tauchen sie bei einem Jeff Walls, der inszenierten Fotografie oder bei der kargen deutschen Dokumentarfotografie wieder auf? Was hat dieses Ausweichen in die bildende Kunst und Kunstfotografie zur Folge?
2. „Cross-Over“ oder, wie man Künstler wird.
Der Modefotograf Jürgen Teller:Zwei Ausstellungen mit seinen Bildern zeigen eindringlich, wie unterschiedlich ein Fotograf in der Öffentlichkeit präsentieren werden kann.
Anfang des Jahres stellte Ute Eskildsen (Leiterin Fotografische Sammlung des Folkwang Museum Essen) die Ausstellung „Märchenstüberl" vor. Stationen: Museum Folkwang und Stadtmuseum München. Dazu erschien ein Katalog mit einem Interview, dass Ute Eskildsen mit Jürgen Teller geführt hatte.www.ganz-muenchen.de/artculture/stadtmuseum/2002/maerchenstueberl/ausstellung
www.museum-folkwang.de/wirfot.htm
Die zweite Ausstellung wurde ich Berlin im Juni unter dem Titel „zwei Schäuferle mit Kloß und eine Kinderportion Schnitzel mit Pommes Frites" in der Galerie Contemporary Fine Arts gezeigt. Auch hier gab es einen Katalog (Steidel Verlag).www.contemporaryfinearts.de/bbb/index.php?pageType=folder&currDir=./teller_03
Zur Information über die Galerie Contemporary Fine Arts. Die Galerie vertritt z.B. den derzeitigen Liebling der Kunstszene, den jungen Performancer und Maler Jonathan Meese. www.cfa-berlin.de/exhibitions/meese_exhibition_overview_2002.htm
Anmerkung: Jürgen Teller ist wie Wolfgang Tillmanns ein erfolgreicher Modefotograf der mittdreißiger Generation.
Was mit Tillmanns funktionierte, der Wechsel (neudeutsch „Cross-over“) von der reinen angewandten Fotografie hin zur Kunst (mittlerweile ist er Professor am Städelschule in Frankfurt), wird mit Teller versucht. Der Ausgang ist offen.
Die beiden Ausstellungsprojekte Tellers zu vergleichen, ist daher sehr aufschlussreich.
Der Titel der Ausstellung „Märchenstüberl" bezieht sich auf neue Arbeiten Jürgen Tellers. Sie sollen autobiografisch sein und die Auseinandersetzung des Fotografen mit seiner kleinbürgerlichen Herkunft und seiner neu gewonnen Vaterrolle widerspiegeln.
In der Ausstellung selbst wurde jedoch ein anderes Konzept umgesetzt: Ein bekannter junger Modefotograf soll mit seinen „besten" Arbeiten vorgestellt werden. Alle wichtigen Fotografien aus den letzten Jahren sind versammelt: Sowohl die ihn bekannt gemachten Modeschmuddelbilder z.B. von Kate Moss, Teile aus „Märchenstüberl", „go-see" und neue Arbeiten über Schönheitsköniginnen. Eine wirkliche Überraschung ist ein Video - als Premiere -. Es zeigt Jürgen Teller in Unterhaltung mit den jungen Modells bei seiner Arbeit während der „go-see".
In der Ausstellung sind Auftragsarbeiten mit persönlichen (Autoren-) Fotografien vermengt.Das macht ratlos. Eigentlich weiß man nicht so richtig, warum man sich in dieser Breite und dabei nur ausschnitthaft solch ein Kongolomerat von Bildern anschauen soll.
Der museale Anspruch der Ausstellungsmacherin, eine Übersicht über die Arbeiten Tellers zu geben, kollidiert mit der Tatsache, dass er (noch) kein berühmter Fotograf ist, geschweige denn ein Klassiker der Fotogeschichte.
Das Interview mit dem Fotografen ist auch nicht sonderlich erhellend. Jürgen Teller ist ganz der handwerkliche Fotograf, dessen intellektuelle Fähigkeiten deutlich begrenzt zu seien scheinen.
Bei den Kunstmarktprofis von Contemporary Fine Arts konnte man mit diesem Konglomerat von Fotografie nichts anfangen. Es ging ja darum, Jürgen Teller im Bereich der bildenden Kunst durchzusetzen. Ein klares Image musste daher her und eine klar definierte Serie verkaufbarer Bilder.
Diese Vorgabe wurde durch eine strenge Auswahl der Fotografien erreicht – meist stammten sie aus dem Fundus von „Märchenstüberl“. Und dazu wurden größere Abzüge gewählt und Kunstmarktrahmen. Inhaltlich wird jede platte autobiografische Erzählstruktur vermieden und die Bilder als Produkt künstlerischer Fantasien vorgestellt. Es soll dabei auch etwas Unaussprechliches mitgeteilt werden.
Der Titel ist kryptisch aber vulgär. Der Katalog streng im Layout und Auswahl signalisiert „Künstlerbuch", natürlich ohne Interview.
Eine neue Bildstrecke ist dazu gekommen: Teller hat in Tropfsteinhöhlen Steinformationen angeblitzt. Es sind Bilder entstanden, die Assoziationen an Geschlechtsorgane provozieren. Die notwendige Prise Erotik ist damit auch enthalten.
Mich hat dieses Konzept der Vermarktung sehr an die Strategie für Jonathan Meese erinnert, Genre: „wildgewordener Kleinbürger". Dieses Konzept scheint durchaus ein spezielles Sammler- und Kunstklientel anzuziehen.
Wenn man Jürgen Tellers Video zu „go see" ansieht, könnte dieses Konzept durchaus aufgehen.
Es zeigt einen dicklichen, unrasierten Dreißigjährigen in seinem Studiodurcheinander, der von Mädels um die zwanzig umlagert wird, die um seine Anerkennung als (softsex) Modells buhlen.
3. Der Fragile der Nacht – abgestürzt?
Der schwedische Fotograf Christer Strömholm taucht aus der Versenkung auf.
In diesem Jahr wurden in Berlin zwei Ausstellungen mit seinen Arbeiten gezeigt:„Christer Strömholm, Lebenswerk und Fotoschule“im Willy Brandt Haus (zwei Katalogend „Christer Strömholm, A Hommage“ in der Galerie Kicken Berlin.
Ich persönlich schätze Christer Strömholm sehr, da er zu einer fotografischen Kultur gehört, die in den 50er Jahren eine bisher nicht mehr wiedergefundene Radikalität der bildnerischen Sprache entwickelt hatte, der auch die entsprechenden Inhalte gegenüberstanden. Beispiele wären: William Klein, Ed van Elsken, Daido Moriyama u.a.
Verglichen damit haben z.B. Fotografien der „Becher-Schüler" und der nachfolgenden Generation eine fast unerträgliche Biederkeit – sozusagen die Kohl-Ära in der Fotografie.
Christer Strömholm muss heute so gut wie neu entdeckt werden.
Berufen kann man sich dabei auf das ihm gewidmete „Camera-Heft Nr.9" vom September 1980.Der Text des damaligen Herausgebers, der im Bucher-Verlag erschienen Kunstfotografiezeitschrift „Camera", Allen Porter, dürfte das Fundament einer heutigen Rezeption sein.
www.artmedia.ch/porter
Um es in Stichworten zu sagen: Christer Strömholm ist der magische Fotograf des Nachkriegstraumas. Diese Verarbeitung dieses Traumas formulierte sich in Literatur und Theater im Existenzialismus. Im Film waren es die Arbeiten von Alains Resnais und Igmar Bergmann, in der Literatur Sartre.
Mit Strömholm direkt vergleichbare fotografische Arbeiten gibt es nicht.Anklänge sind bei Ed van Elsken und Shomei Tomatsu zu finden, thematische Bezüge bei Zdenke Tmej, „Abededa“(siehe in: The Book of 101 Books).Wie wurde diese Vorgabe durch die beiden Institutionen umgesetzt?
Im Willy-Brandt –Haus www.artinfo-international.com/ausstberlin/2003-033 www.peterweiss.org/ipwg/stroemholm hingen hervorragenden Prints in großer Anzahl. Bei der Auswahl und der Hängung wurde die Hand von Fotoredakteuren der Printmedien erkennbar, die in Bildstrecken denken. Es wurden also alle Portraits zusammen gezogen, dann die Kinder, das Grafische u.s.w. Der Katalog folgte demselben Prinzip. Dieses Vorgehen hat zur Konsequenz, dass die Motive sich völlig in den Fordgrund schieben und differenziertere Aussagen „platt gewalzt" werden.
Anmerkung: Als Ergebnis dieses Vorgehens wird ein Fotograf der 50er Jahre vorgestellt, der alle Motive auch fotografiert hat, wie die Großen seiner Zeit: Brassai, Doisneau, Cartier-Bresson etc. Bei Strömholm sieht zwar alles etwas düsterer aus als bei den leichtlebigen Franzosen. Aber das dürfe eben die „schwedische Variante" sein.
Dass Strömholm Nachkriegsfotograf ist und mit der Bildsprache des Fotojournalismus der 30er Jahre nur die Kleinbildkamera, den Schwarz-Weiß Film und Paris gemeinsam hat, wird nicht erkennbar. Die Verortung im Existenzialismus scheint sich im Nichts aufgelöst zu haben.
Warum Christer Strömholm so kastriert wird, lässt sich sicherlich erklären. Das hat viel mit der schwedischen Kultur und mit der Kunstvorstellung der konservativen Sozialdemokratie zu tun.
Alles Dinge, denen Strömholm in seinem Leben sehr distanziert gegenübergestanden hatte.
Die Ausstellung bei Kicken www.kicken-gallery.com macht dagegen eine verblüffende Wende. Die „Hommage an Christer Strömholm“ findet nicht statt. Ca. 10 Prints von Christer Strömholm sind im kleinen Eingangsraum ausgestellt (Kicken II).
In Kicken I wird subjektive Fotografie des Otto Steinert gezeigt. In dieser Ausstellung sind Bilder von Christer Strömholm integriert.
Es hatte eine kurzfristige Programmänderung gegeben. Neuer Titel: Christer Strömholm, „A Hommage & an More Subjective Photography“.
Anmerkung:
Das vorherrschende Element der subjektiven Fotografie des Otto Steinert besteht darin, den grafischen Aspekt der Fotografie zu betonen. Wert wurde also auf die Weiterbearbeitung der Fotografie in der Dunkelkammer gelegt. Erst durch diese (subjektive – also durch den Mensch und nicht durch den Apparat) erfolgte Bearbeitung des Ausgangsnegativs entstand Kunst. So das Steinertsche Programm in Kurzform.
Christer Strömholm hat seine Fotografien sehr sorgfältig in der Dunkelkammer ausgearbeitet, wobei die Bearbeitung immer im Dienst des Narrativen des Bildes stand. Konsequenterweise hatte er sich nach seiner Teilnahme an der ersten Ausstellung subjektive Fotografie von Otto Steinert und seiner formalistischen Fotografie distanziert.
Der Titel der Ausstellung bei Kicken suggeriert aber, dass Strömholm einer der subjektiven Fotografen um Otto Steinert gewesen wäre.
Meine erste Schlussfolgerunge über den Grund des Programmwechsels war: Die subjektive Fotografie ist für Sammler derzeit die Kaufempfehlung, da sie angeblich noch bezahlbar ist. Am 5. Juni versteigerte zum Beispiel Dietrich Schneider-Henn in München „Otto Steiner + subjektive Fotografie" mit 270(!) Katalognummern.http://www.schneider-henn.de/katalog.phpatalog3
Und: Der wichtigste Aspekt bei Stömholms Arbeiten, der Existenzialismus, scheint nicht vermarktbar zu sein. Nachdem ich die Galerie Kicken über den Inhalt des Berichts informiert hatte, bat mich Wilhelm Kicken sofort um ein Hintergrundsgespräch.
„Ich war über die Ausstellung im Willy Brandt Haus sehr schockiert. Eigentlich hätten wir danach die Strömholm Ausstellung absagen müssen. Schon vor 12 Jahre hatten wir in Köln eine Einzelausstellung mit Strömholm gezeigt, die auch den Aspekt des Existenzialismus deutlich herausgearbeitet hatte. Aus dieser Zeit hatte sich auch eine sehr persönlich Beziehung zu Strömholm entwickelt. Ich fühlte mich daher verpflichtet, die Ausstellung nicht abzusagen. Als Ausweg hat sich der Aspekt der subjektiven Fotografie in Strömholms Arbeiten angeboten, der so noch nie gezeigt worden ist."
Fazit: Was hier wieder deutlich wird - es gibt in Berlin keine Institution (Museum oder Kunstverein, Stiftung oder Ähnliches), die sich für die zeitgenössische Fotografie und für die Rezeption des Mediums verantwortlich fühlt.
20.03.2005
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