www.fotokritik.de

Blog zur zeitgenössischen Fotografie
und digitalen Bildkunst
 

  Books - die Foam-Liste Nr. 7, Dezember 09
von Sebastian Hau

Link zur etwas umfangreicheren englischen Version No.7/2: www.fotokritik.de/_artikel_107_1.html



Ellen Lupton et Al., Ed., "Indie Publishing", Princeton Architectural Press 2008, 9781568987606


Wenn es wahr ist, wie von Insidern behauptet wird, dass eine Verschiebung des Publikumsinteresses weg von den Massenmedien zugunsten von Eigen- und Kleinproduktionen stattfindet, ist dieses Buch, von einem Team von Studenten und Professoren produziert, eine gute Starthilfe und Orientierung für das Künstlerbuch im Eigenbau. Dem Leser werden neben einer Portion Selbstvertrauen ein Überblick über Kleinverlage und Künstlerbücher gegeben, notwendige Vorraussetzungen wie die Benutzung einer ISBN und Marketing im Buchwesen erklärt, in kurzen Schritten die Verwendung von InDesign oder das Selberbasteln eines Buches vermittelt. Und da das Buch selber einem Workshop zur Buchgestaltung entstammt, ist jede Seite ein neues Vergnügen, und für jedes Problem von darstellender Erläuterung wurden kluge und überraschende Lösungen gefunden. Nischenprodukte haben sich zumindest im Fotobuchmarkt in den letzten Jahren mehr Vertrauen beim Publikum erworben und einen größeren Platz auf den Regalen erobert, und immer öfter verhält sich die Verlagsgröße umgekehrt proportional zur Eigenständigkeit der Publikation.


www.papress.com/html/book.details.page.tpl?isbn=9781568987606 www.chroniclebooks.com/index/main,book-info/store,books/products_id,7467/title,Indie-Publishing/



Grégory Valton, "Dans la Neige", Poursuite Editions 2008, 9782952011884


Während des Fotofestivals in Arles überreichte der neugegründete französische Verlag Poursuite mir diese kleine Publikation. Der Fotograf erzählt in kaum 30 Bildern von einer Reise in die Pyrenäen, in das Geburtsdorf seiner verstorbenen Mutter. Innenansichten aus Bauernhäusern wechseln sich ab mit abendlichen oder nächtlichen Spaziergängen, bei denen das Dorf, die Berge und die Bäume mit großer Nähe zum Fotografierten ins Auge gefasst werden. Die hereinbrechende Dunkelheit auf einem Weg oder eine Nebelwand an einem Berghang, die Fotografien sind nicht symbolisch, und evozieren Gefühle und Erinnerung, Traurigkeit, aber auch Fremdheit vor dem nun Ungewohnten. Eine große Klarheit, mit der der Fotograf sich verabschiedet, überwiegt. Mit einem aufgeklebtem Foto auf dem Cover, einer kurzen Einleitung des Fotografen, einem literarischen Nachwort und einer Zeichnung auf der Innenseite der Backflap ist dies ein überzeugendes kleines Buch im Softcover-Format. In diesem Herbst wird der Verlag weitere Bücher veröffentlichen, darauf darf man gespannt sein.


www.poursuite-editions.org/ www.poursuite-editions.org/index.php?/catalogue/dans-la-neige-gregory-valton/ www.gregoryvalton.com/



Mariken Wessels, "I want to eat", Wessels 2009, 97890816


Es waren in den letzten Jahren hauptsächlich weibliche Fotografen, die in kleinen Publikation die Bandbreite des Fotobuches, vor allem mit Erzählungen aus dem privaten Umfeld erweiterten. Fotografien und Dokumente wurden unterschiedlich genutzt, um dem Zweck der Künstler zu dienen. Ich denke an Wiebke Loeper genauso wie Liza Nguyen, Wytske van Keulen, Bertien van Manen und Rinku Kawauchi. Mariken Wessels hat mit ihrer im Eigenverlag erschienen Publikation ein kleines Juwel geschaffen, von dem Jeff Ladd mir vor ein paar Monaten ganz begeistert berichtete. Eine Sammlung von anonymen Fotos, die hauptsächlich eine Haupdarstellerin umkreisen (aber auch aus verschiedenen Alben stammen mögen) wird mit einer Sammlung von Briefen kontrastiert, und eine eigentümliche, herzerreissende, seltsam melancholische Geschichte gespinnt, die wahr sein kann oder falsch, eingebildet oder nachempfunden. Die Bilder stammen wohl aus den siebziger Jahren, sie werden vergrößert wiedergegeben und bekommen so einen Tichy oder Fieret-Look, und doch wird eben eine Familiengeschichte erzählt, oder Fragmente aus dem Leben einer jungen Frau, und nur durch Empathie und Interesse werden diese Bilder lesbar.


www.marikenwessels.nl bintphotobooks.blogspot.com/2009/06/mariken-wessels.html andrew-phelps.blogspot.com/2009/11/mariken-wessels-elisabeth-i-want-to-eat.html



Cat Tuong Nguyen, "Underdog Suite", Scheidegger & Spiess 2009, 9783858812377


Immer wieder erschienen in Katalogen oder im Netz einzelne Bilder dieses Vietnam-stämmigen, in der Schweiz lebenden Künstlers, und jetzt halte ich beglückt seine erste Publikation in den Händen. Neben dem bei Patrick Frey zuletzt erschienen Band „Great Unreal“ seiner Kommilitonen TONK aus Zürich, die ähnliche Arbeitsmethoden nutzen, kommt dieses Buch etwas strenger daher. Das liegt daran, dass der Künstler die Fotografie erst einmal benutzt, um sich seines Platzes in der Welt zu versichern. Seine Reisen, seine Begnungen, vieles wird dokumentiert, um später in seinen Collagen einen neuen Platz zu finden. Kleine Typologien, von Strassenaltären in Vietnam, neben kurzen Fotoessays, Badende oder Küssende finden sich da neben Zeitungsausschnitten oder Übermalungen. Im raumgreifenden Skulpturen, aus denen wieder Fotos entstehen, finden sich dann die Verarbeitungen in seltsamen Traumspielen zu den Themen Tod oder Zerstörung. Scheidegger & Spiess haben daraus ein sachlich gestaltetes Buch gemacht, das in die komplexe Arbeit Ordnung bringt und ihr doch Genüge tut.


www.scheidegger-spiess.ch/fullinfo.php?id=302



Petra Stavast, "Libero", Roma 2009, 9789077459386


Eine Familiengeschichte über zwei Kontinente. In einem verlassenen Haus in Italien fand die Fotografin mehrere Bilder aus einem Familienalbum. Sie fotografierte das Haus und die Bilder und nahm Kontakt mit den Fotografierten auf, eine italienische Familie, die nunmehr seit einigen Jahrzehnten in New York wohnt. Die Emigranten hatten den in Italien verbliebenen Verwandten Fotos der aufwachsenden Folgegeneration geschickt, und dieser Sohn und diese Tochter, heute erwachsen, werden dann von der Fotografin wieder portraitiert. Ein eher nüchtern layoutetes Buch, das als Objekt sehr gut in den Händen liegt, eine konsequent durchgearbeitete Erzählung, deren Lücken durch Interviews teils gefüllt, teils offengelassen werden, eine insgesamt sehr überzeugende und unaufdringliche Arbeit.


utopiaparkway.wordpress.com/2009/11/01/book-of-the-month-1-sherlock-holmes-with-a-camera-in-calabria/



John Stezaker, "3rd Person Archive", Koenig Books 2009, 9783865603715


Der Brite Stezaker sammelt seit über dreissig Jahren Fotografie und verwandelt sie in Collagen. Sein zuletzt erschienenes Buch ist eine Sammlung einer Sammlung. Aus einem Almanach der zwanziger Jahre schnitt Stezaker Bilder einzelne, zumeist spazierengehende Menschen aus. Die Formate sind dabei manchmal kleiner als ein Fingernagel, höchstens jedoch Handteller groß. Auf den linken Seiten findet sich ein Code, der das Bild in das Archiv einordnet, rechts ein einzelnes Bild. Das aufwendig gedruckte Buch übt einen seltsamen Reiz aus: die Silhouetten der Passanten und die Strassen verschwimmen, die Körper lösen sich beinahe auf, ein Urbild eines Gehenden taucht vor den Augen auf. Wie man die Arbeit auch verstehen mag, ihre solitäre Erscheinung und ihre Verwendung von Fotografie haben mich sehr angeregt.


5b4.blogspot.com/2009/09/3rd-person-archive-by-john-stezaker.html


22.12.2009