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Texte zur zeitgenössischen Fotografie und digitalen Bildkunst
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4. Berlin-Biennale 2006 - der fotografische Aspekt

von Thomas Leuner


"Von Mäusen und Menschen“
Die 4. Berlin-Biennale für zeitgenössische Kunst vom 25. März bis 5. Juni 2006.


Mit Foto-Blog zum Ausstellungsparcours in der Auguststraße


Irgendwie ernst ist sie, gelungen, aus dem Bauch, vielleicht etwas
düster - aber so richtig konnten die meisten Kunstkritiker die 4.
Berlin-Biennale nicht erklären. Warum hatte das aus der New Yorker Kunstszene Chelsea stammende Kuratoren-Team Maurizio Cattelan,
Massimiliano Gioni und Ali Subotnick einen Erfolg gelandet? Keine
Selbstverständlichkeit, wenn man sich an die 3. Berlin-Biennale im
Jahre 2004 erinnert, die von einer akademischen Kritikerin erdacht sich mühsam durch die Räume des Martin-Gropius-Baus quälte. Damals war das Schlagwort „Hubs“!


Sicherlich ist der Vergleich nicht fair, da sich der Stellenwert der 4.Berlin-Biennale durch die massive Förderung der Bundeskulturstiftung
erheblich verändert hat. Nach der Documenta Kassel soll die BB zum
zweiten „Leuchtturm“ der zeitgenössischen Kunst in Deutschland ausgebaut werden. Dazu war die BB4 ein guter Start, sicherlich auch dank einer geschickten Öffentlichkeitsarbeit und der Wahl der Auguststraße als Präsentationsparcours.
Ein Hauch von Geschichte umspülte die Exponate: Der Charme eines
besetzten Hauses, die Konfrontation mit einer in Bildung und Armut
erstarrten DDR und als besonderes Extra das klassisch-jüdische
Territorium, demonstrativ inszeniert durch den Sicherheitscheck am
Eingang der ehemaligen jüdischen Mädchenschule. Drumherum der
Berlin-Mitte-Alltag ohne hässliche Spuren eines Kulturevents.


Der Rundgang durch die Ausstellungsstationen zeigt eine angenehme
Kompetenz im Bereich Video, die Vorliebe für Zeichnung und
Kleinformatiges und das Fehlen der klassischen Malerei im großen
Tafelbild. Die Fotografie ist im allem gleichberechtigt präsent.
Deutlich deklassiert aber Installation und Skulptur, die im
Zusammenspiel mit den prägnanten Räumlichkeiten keine eigenen Bilder
erzeugen können.


Obwohl dieser Mangel deutlich erkennbar ist, stellt sich beim Besucher
ein Gefühl der Stimmigkeit ein. Ein Eindruck, der auf den theatralischen, atmosphärischen Gesten beruht, die aktuelle und zeitnahe Sehnsüchte bedienen. Das Missglückte öffnet auch den Blick auf die Ambivalenz: „The Boy in the bench“ (1983) ist der Beitrag des ältesten Teilnehmers, des polnischen Theatermanns und bildenden Künstlers Tadeusz Kantor (1915-1990). In einer grob gezimmerten Schulbank sitzteine Puppe, ein lebensgroßer Junge - der Raum ist leer. Das ist eine klassische Inszenierung des „Theaters der Bilder“, des Theaters der “Sinnlichkeit” der 70er Jahre, in Deutschland besser bekannt durch die Inszenierungen des deutsch-ungarischen Dichters Georg Tabori, der die Bühnenpuppe zu seinem theatralischen Markenzeichen erhoben hatte. Ästhetisch war das ein Rückgriff auf die 40er Jahre, am Brecht-Theater vorbeigemogelt, zwischen Makramee- Arbeiten und mystisch-psycho-analytischer Sinnstiftung und Selbstfindung plaziert. Sicherlich ein Nachholbedürfnis und eine Vergewisserung der Fiktion, es gäbe eine kulturelle Tradition ohne Nazi-Clash. Nun werden diese Bildwelten und deren aktuelle Interpreten gegen den “white cube” in Stellung gebracht. Der “white cube” steht für die Aura der Leistung, der kunstmarktkompatiblen Kunst, die nur Träume auf Wertsteigerung zulässt. Es ist das Bild der Sammlerhorden, die sich im Schweinsgalopp zur Messeeröffnung um die begehrte Heiß- Ware balgen. Jetzt, am Kamin (hip!), in der Runde mit Freunden sitzen und dem kalten Hauch der Globalisierung trotzen. Das Private in den öffentlichen Raum erweitern: Die Vorstellung akademische Bildung schützt vor Armut, wenn man unter sich ist. Der Mensch in der Welt, wie die Maus im Labyrinth. Platt gesagt: die Phantasie der Medien über eine Generation Praktikum. Ein Händchen-haltendes Paar, lächelnd, 70er Jahre, dies ist das im Straßenbild präsente „Jingle-Foto“ der Biennale. Eine Fotoshop-Collage von Aneta Grzeszykowska – als Heimwehbefragung der kleinbürgerlichen Kindheit.


Bei der Fotografie wird mit diesem Konzept konsequent auf serielle,
kleinformatige, narrativ-dokumentarische Arbeiten gesetzt. Beispielhaft: Die Bibliothek von Larry Sultan und Mike Mandel mit S/W-Archivaufnahmen aus amerikanischen Behörden der 50er und 60er Jahre. Das ist eine Form der konzeptionellen Fotografie, die mit Ed Ruscha schon früh (in den 60er Jahren) die Spannweite des Mediums demonstrierte. Aber wie häufig in den konkurrierenden Bereichen Kunst und Fotografie wird der Vater der seriellen Alltagsimagination, der amerikanische Fotograf Walker Evans,unterschlagen. Diese frühe Verzahnung der Fotografie mit der Bildenden Kunst findet jedoch langsam mehr Beachtung, z.B. Margrit Rowell für das Whitney-Museum of American Art in New York mit der von ihr konzipierten Schau der Fotografien Ed Ruschas, u.a. mit den berühmten „Twenty six Galsoline Stations“ von 1962 – ursprünglich ein Künstlerbuch mit 26 Tankstellenfotos im Offset-Druck.


Um das sich immer wieder neu erfindende Medium Fotografie in den Griff
zu bekommen, kristallisieren sich mittlerweile Standards heraus, wie
Fotografien in den Kunstkontext eingebunden werden können. Einmal bei der BB4 als narrative, serielle Fotografie, die häufig noch mit journalistisch-historischen Arbeiten aufgepeppt wird. Dieses dokumen-
tarische Genre der Fotografie kommt sehr asketisch und schwarz-weiß daher, ist aber durchaus ein Publikumserfolg. Die Welt präsentiert sich als etwas Beschreibbares, als eine Sammlung von Spuren, die erkennbar und lesbar sind. Ein sedierendes Mittel gegen die unruhige, chaotische Welt. Seit der Documenta X von Catherine David eine kanonisierte Form. Konträr, aber die geniale Ergänzung, das
Katholische, das Großbildevent, wo Phantasien nach Jahrhundertwerken und Höchstpreisen das große „Wow“ auslösen, im richtigen Jahrhundert und in der richtigen Kunst zu leben, mit dem Kick, alles könnte in die Bedeutungslosigkeit der Salonmalerei abstürzen. Beispiel: Thomas Weskis „click doubleclick“ im Haus der Kunst München, Frühjahr 2006.


Aber zurück nach Berlin und zur Installation „EIN-HEIT“ des Berliner
Fotografen Michael Schmidt. Diese Arbeit breitet sich zentral über die
gesamten Wände des Lichthofs der Kunstwerke aus und signalisiert ihre
besondere Bedeutung. Das ist erstaunlich, weil Schmidt in Deutschland unpopulär und seine Arbeiten nur im Kontext der Fotografie gezeigt werden. Der Tipp dürfte von Peter Galassi, dem Kurator für Fotografie am New Yorker Museum of Modern Art, gekommen sein. Er hatte Michael Schmidt schon 1996 mit „EIN-HEIT“ in New York vorgestellt - eine
Premiere; es war die erste Einzelausstellung eines deutschen Foto-
grafen seit Jahrzehnten, Andreas Gursky und Thomas Demand sollten folgen.
Peter Galassi schrieb damals zu „EIN-HEIT“: " Dieses Projekt verkörpert eine persönliche Meditation über die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts, die in der Wiedervereinigung kulminierte. Es handelt sich um rund 160 Bilder, zum Teil Schmidts eigene Portraitbilder, Stadtansichten und so weiter, zum Teil Fotos von anderen Fotografen, oft Details, wieder fotografiert aus Zeitungen, Propaganda-Magazinen oder Fotoalben von Arbeitern aus ostdeutschen Betrieben, und ähnliches mehr. Viele, vielleicht die meisten Bilder sind für sich genommen schwer verständlich, aber das sorgfältig zusammengestellte Ganze berührt einen tief. Das Prinzip der Serie erinnert an Walker Evans' "American Photographs", wo jedes nachfolgende Bild die vorangehenden positioniert und bereichert. Oft können wir die Bilder nicht direkt entziffern - handelt es sich um einen Nazi-Bürokraten, einen Stasi-Mitarbeiter oder um einen Geschäftsmann aus dem Nachkriegsdeutschland?"


Die Wertschätzung Gallassis für „EIN-HEIT“ beruht auf dem innovativen
Konzept. Hier wurden eigene Fotografien gleichberechtigt mit
vorgefundenem Bildmaterial benutzt. Die Fremdbilder wurden einer rein
fotografischen Retusche unterworfen und dem „Sound“ der eigenen
fotografischen Bildsprache angeglichen. Die kompromisslose Gleich-
setzung subjektiver, eigener Bilder mit bearbeitetem, dokumentarischem Material macht auch heute noch den Reiz dieser Arbeit aus, da mehrere Zeit- und Erzählebenen miteinander verwoben wurden.
Erstaunlicherweise (oder auch nicht) wurde „EIH-HEIT“ von den deutschen Rezensenten der BB4 kaum bemerkt, geschweige denn kenntnisreich besprochen. Dieses fotografische Defizit der Kunstkritik ist ein Thema mit Wiederholungszwang.


Ein Hinweis, wohin zu denken wäre: Jüngst gestand der Maler Georg
Baselitz, Jahrgang 1938, in einem Interview, er würde sich immer
häufiger mit seiner Frau über die Kriegsjahre unterhalten, die seine
Kindheit geprägt hätten. Schmidt, Jahrgang 1945, scheint diese
Phantasien und Spuren ausgangslos zusammengeballt zu haben.


Die weiteren fotografischen Beiträge decken die Palette der zeitge-
nössischen Fotografie ab. Da ist Shirana Shahbazi, die in der
Schweiz lebende Iranerin, die mit reiner „Fotokunst“ enttäuscht, mehrere Farbfotografien an der Wand ergeben noch keine Installation.
Grelle Blitze bei der Hausgeburt von Corey McCorkle, ein seit Boris
Mikhailovs Epos über die Ausgestoßenen und Verdammten der nach- sowjetischen Gesellschaft probates Mittel, um mediale Aufmerk-
samkeit zu erregen. Was als Teil eines großen Epos über die Gebärtrad
itionen der Welt daher kommt, entpuppt sich als die Dokumentation eines werdenden Vaters über die „Natürlichkeit“ der Geburt seines Kindes. Und dies von einem Künstler, der für seine vorsichtigen Interventionen in vorgegebenen Architekturensembles bekannt ist. Das
riecht nach dem fundamentalistischen Amerika des Bush-Zeitalters.


Der Amerikaner Roger Ballen ist Beispiel für einen professionell
vermarkteten Fotografen der anglo-amerikanischen Welt: Gagosian Gallery in New York und Vertretungen in jedem wichtigen Sammler-Land. Roger Ballen lebt als Geologe seit 30 Jahren in Südafrika und wurde in den 90er Jahren durch sein Portraitbuch “Platteland. Images from Rural
South Africa” bekannt. Das Thema sind die Buren, weiße Afrikaner, die
als europäische Siedler lange Zeit den Kontakt zu Europa verloren hatten und eine rassistisch begründete Unterwerfungs- und Überlebensstrategie gegenüber den Ureinwohnern entwickelten. Diese galt als Modell und Anregung für völkisch-rassistischen Organisationen des internationalen Nationalsozialismus. Leicht debile Gesichter, die Assoziationen an Pflanzen wecken, entglittenes, verzogenes Leben. Ein großer Auftakt eines Außenseiters ohne künstlerische Ausbildung. Danach griff Ballen mit den auch hier gezeigten Zyklen „Outland“ (2001) und „Shaodow Chambers“ (2005)auf die inszenierte Fotografie zurück. Dies mit der Behauptung, traditionelle afrikanische Mystik mit der Archaik der weltumfassenden Schwarz-Weiß-Fotoästhetik à la Sebastiao Salgado zu verschmelzen. Dies ergibt bedeutungsschwangeren Ethno-Kitsch mit Buren als Laiendarstellern. Immerhin originell. Dank der kleinen Formate und des ausdruckstarken Ensembles der jüdischen Mädchenschule wirkt es doch nicht aufgesetzt.
Die einzige junge deutsche Fotografin ist Ricarda Roggan, Absolventin
der Hochschule für Buchkunst Leipzig, die mit den gezeigten Raum-
inszenierungen bekannt wurde, ein Nachhall auf den mit dem Sozialismus kompatiblen DDR-Protestantismus im weiß gekalkten Atelier. Sie ist ein „Kind“ des umtriebigen Galeristen Harry Lübke, Galerie Eigen+Art, der aus dem Zusamenprall des post-sozialistischen Realismus mit der Moderne die sächsische Kunst- und Maltradition wieder in die vorderen Ränge katapultiert hat. Für Ricarda Roggan heißt Eigen+Art Professionalität, also Nachhilfeunterricht in Bildender Kunst, hier der Besuch des Royal College of Art London, MA Department of Photography. Auf der Homepage von Eigen+Art war sie mit einem Selbstportrait zu sehen: Ein „Irgendwo Büroraum“, versteckt hinter einer riesigen Plattenkamera ein Mensch unter dem schwarzen Kameratuch. Ein Bild der Drohung und Schüchternheit und, parallel zur Wiederentdeckung der figurativen Malerei, die Sehnsucht nach der alten analogen Plattenkamera.


Unausgesprochen steht beim Engagement von Judy Lübke die Frage im Raum, ob es auch ein Leipziger Fotografie-Wunder gibt. Nein, sicherlich nicht! Dazu fehlen die Voraussetzungen.Die wesentlichen künstlerischen Kräfte in der Fotografie – Arno Fischer und Evelyn Richter - mussten 1990 die Hochschule verlassen, da Sie keine festen Stellen hatten. Es war also keine Lehrautorität mehr vor Ort, die, wie Arno Rink in der Malerei,schützend ihre Hand über „unzeitgemäße“ Positionen hätte halten könnte.Die wichtigsten neuen Professuren wurden und werden ausschließlich mit Persönlichkeiten der west-deutschen Fotokunstszene besetzt.


Trost kann man aber aus dem großen Atem der Geschichte schöpfen. Leipzig wirft ein Schlaglicht auf die zu erwartenden künstlerischen
Entwicklungen in Europa. Die kulturelle "Wiedervereinigung" Europas läuft - die Wiederherstrellung eines Zustands, wie es ihn seit hundert Jahren nicht gegeben hat. Und das führt uns zurück zur BB4. Der Einfluss der osteuropäischen Künstler wächst, aber noch nicht mit erkennbar innovativem Ergebnis,sondern führt ins Private, zu merkwürdig zeitmäandernden Bildparcours.



08.05.2006


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