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Texte zur zeitgenössischen Fotografie und digitalen Bildkunst
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Die wandelnde Unschuld

von Joachim Schmid


Um verständlich zu machen, worum es im folgenden geht, sei den älteren Lesern in Erinnerung gerufen und den jüngeren zur Kenntnis gebracht, daß Fotos bis vor gut einem Vierteljahrhundert nur selten farbig waren und nur selten größer als ein handelsüblicher Briefbogen. Hergestellt wurden sie von Menschen, die sich Fotografen nannten und wenig Zweifel an ihrem Tun hatten. Postmoderne stand noch nicht auf dem Stundenplan jeder Provinzschule. Das Gespräch über Fotografie wurde von handwerkelnden Dogmatikern bestimmt, die sich im Besitz der absoluten Wahrheit wähnten: So und nicht anders müssen Fotos sein.


Daneben und dazwischen gab es einige Einzelgänger, die teils witzig, teils verschroben ihre Sonderwege gingen. Einer von ihnen ist Duane Michals, der allerlei Fotos machte, die nicht sonderlich auffielen, und daneben seine höchst eigenwilligen Foto-Text-Arbeiten, in denen des Autors Witz und Phantasie zur Entfaltung kamen. Weniger wegen seiner im Auftrag entstandenen Fotos als wegen dieser Sequenzen ist er als Künstler anerkannt. Duane Michals gehört zu denen, die schon vor Zeiten des postmodernen Fotografierens tätig waren, und er hat jetzt ein sozusagen post-postmodernes Buch veröffentlicht, das mit der Zwischenzeit abrechnet.


Denn die gute alte Zeit der Fotografie, sie ist nicht mehr. Aus einer Außenseiterdisziplin wurde innerhalb weniger Jahre die vorherrschende Technik, statt weniger hundert sind viele tausend Fotografen tätig. Diese arbeiten mehrheitlich in Farbe und orientieren sich nicht ausschließlich im Bezugssystem der etablierten Fotogeschichte. Das einzig verbleibende Dogma lautet „anything goes“. Es braucht kaum weiter erwähnt zu werden, daß die neue Zeit allerlei Erscheinungen mit sich brachte, die je nach Temperament als lächerlich oder ärgerlich zu bezeichnen sind. Des Kaisers neue Kleider werden regelmäßig in Hochglanzheften präsentiert und auf Kunstmessen zu beachtlichen Preisen gehandelt.


Mit einigen Protagonisten der neuen Zeit befasst sich Duane Michals in seinem Buch Foto Follies. How Photography Lost Its Virginity on the Way to the Bank war überfällig, dieses Buch mußte gemacht werden. Man hätte es fotografieren können, man hätte es schreiben können; es wurde von einem Fotografen gemacht, der auch ein bißchen schreibt. Für die Gestalten, von denen das Buch handelt, prägte der Autor in enzyklopädischem Gewand die hübsche Gattungsbezeichnung Fartster, „one who confuses fashion with art“.


Das Buch ist eine lose Aneinanderreihung von Parodien, Persiflagen und Aphorismen – und leider sind keineswegs alle von ihnen treffend oder witzig. Wenn des Autors Alter Ego Dr. Duanus einige von Cindy Shermans Untitled Film Stills nachstellt und diese Selbstporträts eines Mannes im fortgeschrittenen Alter mit gestelzten, intelligent klingenden Unsinnstexten kombiniert, hat das Witz, vielleicht auch, weil es mehr über das rezeptive Umfeld der Künstlerin als über diese selbst sagt. Wenn er Miss Beecrofts neueste Zurschaustellung weiblicher Körper im Stil billiger Jahrmarkt-Typographie persifliert – „Girls! Girls! Girls! Only at Your Local Museum“ – hat das ebenfalls Witz. Wenn er jedoch Andres Serranos Piss Christ zu parodieren versucht, indem er uns ein brennendes Spielzeug-Kreuz in einem Häufchen Scheiße zeigt, erreicht er nicht einmal das intellektuelle Niveau des Originals – und das zu unterbieten ist gar nicht so einfach. Ähnlich billig und albern sind seine Scherze über Gerhard Richter, dem er eine Brille zur Vermeidung von Unschärfe empfiehlt, oder über Andreas Gursky, dem er das Foto einer Gurke unterjubelt. Da haut sich der Stammtisch auf die Schenkel.


Von ebenso gemischter Güte wie die fotografischen Ironisierungen sind Michals‘ verbale Äußerungen. Er konfrontiert die Leser mit allerlei Aussagen, die eine Mischung aus lakonischen Statements, unbegründeten Behauptungen und persönlichen Beschimpfungen sind. Der Einzeiler „Never trust any photograph so large that it can only fit inside a museum“ ist prägnant und trifft einen zentralen Punkt in einer Zeit, in der nur noch gigantomanische Architektur ein akzeptbaler Größenmaßstab für Fotografien zu sein scheint. Die Aussage „Art is never boring. Andy Warhol was boring.“ ist dagegen nichts weiter als Ausdruck einer persönlichen Aversion. „Diane Arbus is authentic; Cindy Sherman is inauthentic.“ fällt in dieselbe Kategorie. Und über „Richard Prince is the new art royalty. Where is Robespierre when we really need him?“ möchte ich mich lieber nicht äußern, das könnte mir am Ende noch den Vorwurf der Humorlosigkeit eintragen.


How Photography Lost Its Virginity on the Way to the Bank geriet zu einem weitgehend witzlosen und wenig differenzierten Rundumschlag, der genauso gut What I Like and What I Don‘t Like in Contemporary Art for No Particular Reason hätte heißen können. Selbst der auf den ersten Blick witzige Titel des Buchs entpuppt sich nach kurzem Nachdenken als Eigentor – denn ist seine Jungfräulichkeit zu verlieren nicht eine Begleiterscheinung des Erwachsenwerdens? Worum es dem Autor letztlich geht, erfahren wir, wenn er uns einen Blick in seinen persönlichen Himmel der Fotografie gewährt, den neben unbestrittenen Meistern auch Meister der gediegenen Langeweile bevölkern. Beim Betrachten dieser recht unbeholfenen Collagen verliert auch die Frage „Why walk when you can dance?“ viel von ihrer Brisanz, da offensichtlich wird, daß dem Fragenden das Tanzen nicht so ganz liegt. Daß ein paar Tänzer und deren Agenten auch noch recht gut bezahlt werden, scheint ihm unerträglich.


Sollte dieses Buch durch eine Laune des Schicksals Duane Michals‘ letztes Wort zur Fotografie gewesen sein, hätte er sich keinen großen Gefallen getan. Sein Abgesang auf die Kunst der Gegenwart erinnert an das Lamento eines Kinopianisten angesichts des Erfolgs des Tonfilms, der nur zu einem folgerichtigen Schluß kommen kann: Tonfilm ist Kitsch!


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Die Rezension entstand im Auftrag der in Belfast erscheinenden Zeitschrift Source (www.source.ie/) und erschien dort in englischer Übersetzung.

09.07.2007


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Schlagworte: Duane Michals, Foto Follies