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Texte zur zeitgenössischen Fotografie und digitalen Bildkunst
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von Bernd Weise


Obwohl während des Ersten Weltkriegs in der Pressefotografie neben den klassischen Plattenkameras erstmals auch kleinformatigere Kameras eingesetzt sowie Rollfilme verwendet wurden, die sich auch gerade im harten Fronteinsatz als Arbeitsgerät bewährt hatten, kehrten die Fotografen danach wieder zum großformatigen Kameramodell zurück. Die seit 1924/25 neu erscheinenden mittel- und kleinformatigen Kameramodelle mit besonders lichtstarken Objektiven und verschiedenen wechselbaren Brennweiten, wie die Ermanox und die Leica, wurden vorerst bevorzugt von den Fotoreportern genutzt, die gegen Ende der 1920er Jahre als ungelernte Fotografen bzw. Seiteneinsteiger zum Journalismus kamen und die Vorzüge der einfacher zu handhabenden Geräte für ihre Reportageeinsätze schätzten. Deutlich lichtempfindlichere sowie panchromatische und vor allem feinkörnigere Emulsionen kamen seit Ende der 1920er Jahre nicht nur der Kleinbildfotografie, sondern auch dem Mittelformat zugute, deren vorrangige Kameramodelle in der Pressefotografie die Makina und die Rolleiflex wurden. Trotz dieser fototechnischen Fortschritte blieben viele Pressefotografen bei der vertrauten Arbeitsweise, da sich in der täglichen Routine von großformatigen Aufnahmeplatten im Kontaktkopierverfahren schneller Bildserien für den Versand an die Redaktionen herstellen ließen.



Erster Weltkrieg


Da sich neben den Pressefotografen, die fast ausnahmslos mit Klapp-Kameras arbeiteten, auch andere Fotografen um eine Fotozulassung auf dem Kriegsschauplatz bewarben, bzw. zur Truppe eingezogen wurden [1], wurde in Fotografenfachkreisen ausführlich über die richtige Ausrüstung diskutiert. 1914 gingen diese noch davon aus, daß für den Kriegseinsatz die bisher gewohnte Geräteausrüstung weitgehend eingesetzt werden könnte.



Welche Kamera für den Kriegseinsatz?


So wurden zunächst auch noch die Klapp-Laufbodenkameras als geeignet angesehen, da diese im Gegensatz zu den klassischen Reisekameras ohne Stativ auskamen und leicht aufnahmebereit gemacht werden konnten. Sie waren aber primär entweder nur für das Hoch- oder das Querformat gebaut. Eine bessere Festigkeit gewährleisteten Kasten- und Magazinkameras, die nicht aufgeklappt zu werden brauchten und mit mehreren Platten geladen werden konnten. Sie ließen aber wiederum die Möglichkeit der Mattscheibeneinstellung vermissen. Die wichtigsten Vorteile vereinte die Klapp-Spreizenkamera auf sich, die bisher auch schon bei den Pressefotografen den Vorzug gefunden hatte. Da der Kriegsfotograf bezüglich seines Standortes an die gegebenen Verhältnisse gebunden war, sollte das Objektiv in möglichst großem Maße nach oben und unten verschiebbar sein, um z.B. aus der Untersicht eines Geschützgrabens die optische Achse der Horizontalebene anpassen zu können. Außerdem sollte sich für die horizontale Ausrichtung eine Libelle am Mattscheibenrahmen befinden. Um eine ausreichende Belichtungszeit und -intensität für die wechselnden Aufnahmeverhältnisse zu erreichen, wurde empfohlen, möglichst lichtstarke Objektive mit Blende 4,5 zu verwenden. In diesem Zusammenhang wurden auch Schlitzverschlüsse den Sektorenverschlüssen vorgezogen, da diese die Lichtstärke des Objektivs voll erhalten. Die zudem wesentlich kürzeren Belichtungszeiten der Schlitzverschlüsse (Sektorenverschlüsse erreichten derzeit nur bis zu 1/300 Sek.) wurden jedoch bei bewegten Objekten mit dem Nachteil von leichten Bildverzerrungen erreicht, die die systembedingte streifenweise Belichtung der Platte verursachten. Als Aufnahmematerial empfahlen sich anstelle der Glasplatten die wesentlich leichteren „Zelluloid-Films“ (Planfilme, die seit 1884 in den USA und ab 1896 auch von Agfa fabriziert wurden [2]).


Als wichtiges Kameradetail für Kriegsaufnahmen wurde der Bildsucher beschrieben, der für das Hoch- und Querformat den genauen Bildausschnitt wiedergeben, aber nicht nur als Durchsichts- sondern auch als Aufsichtssucher vorhanden sein sollte, um nach Bedarf in Kopf- oder Brusthöhe einstellen zu können. Als Aufsichtssucher wurde der „Sellarsucher“ (der Fa. Busch) empfohlen, der das Motiv seitenrichtig und nicht seitenverkehrt, wie beim normalen Brillantsucher zeigte. Wegen der guten Betrachtungs- und Einstellmöglichkeiten wurden zunächst auch noch die Spiegelreflexkameras als für die Kriegsfotografie sehr geeignetes Gerät angesehen [3]. Die Apparate für den Kriegseinsatz sollten Aufnahmen aus der Hand zulassen um Bewegungen folgen zu können, schnell aufnahmebereit sein und mehrere Aufnahmen unmittelbar hintereinander machen können. Die Firma C.P. Goerz bot ihre klassische Pressekamera, die Goerz-Anschütz Klapp-Kamera „Ango“, als die ideale Universalausrüstung für den Feldfotografen an [4].


Doch nach einem Jahr Front-Fotografie kehrten nicht wenige Reporter mit der Erfahrung zerbrochener Fotoplatten, der Unbeweglichkeit der „großen Kästen“ im Schützengraben, deren Mattscheibe schon beim Truppentransport gesprungen war, zurück und griffen jetzt zu den bisher von den Berufsfotografen „geschmähten kleinen und kleinsten Kameras“ [5].



Professionalisierung der Rollfilmkamera


Die deutschen Kamerahersteller, die den Bau der Apparate für die 4,5 x 6- bis 6 x 9-cm-Formate wenig gepflegt hatten, standen nun vor einer steigenden Nachfrage neuer Modelle [6] für die Verwendung von Rollfilm (den es in Tageslichtpackung bereits seit 1895 gab [7]) oder Filmpacks (seit 1903 erhältliche Zelluloid-Filmblätter in Tageslichtpackungen in den Formaten 4,5 x 6 bis 10 x 15 cm). Die Firmen ICA und Ernemann brachten 1915 die „Icarette I“ Klapp-Kamera 6 x 6 cm für Rollfilm mit Dominar 4,7/75 mm, Compur-Verschluß bis 1/300 Sek. und Rahmensucher sowie 1917 die „Bob 0“ für den 4 x 6,5 cm Rollfilm, eine Metallspreizen-Kamera mit Rahmensucher als Feldkameras heraus.


Die fotografierenden Soldaten hatten die handlichen und gerade noch im Sturmgepäck unterzubringenden Rollfilmkameras mit ins Feld genommen. Das 6 x 9-Format galt als „das höchste rationelle Maß für eine Feldzeugkamera“ [8]. Der Rollfilm trat damit an die vorderste Stelle des Aufnahmematerials, was als befreiendes Arbeiten aufgenommen wurde [9]. Agfa hatte im Herbst 1915 seinen „Agfa-Rollfilm“ in den hauptsächlich verwendeten Formaten 4,5 x 6 cm, 6 x 6 cm und 6 x 9 cm neu auf den Markt gebracht und 1916 das Angebot für die Größen 6,5 x 11, 8 x 10,5, 9 x 9 sowie 8 x 14 cm erweitert [10]. Die Berufsfotografen lernten die Vorzüge der kleinen Kameras aber ebenso schnell kennen [11]. Zum Ideal einer Feldkamera wurde eine Rollfilmkamera im 6x6-Format erklärt, da sich der Fotograf beim quadratischen Bild weder um die Hoch- und Quer-Haltung zu kümmern brauche und damit die Aufnahmebereitschaft wesentlich erhöht werde [12].


Der Berliner Pressefotograf Ludwig Boedecker war mit einer Goerz Pocket-Tenax 6,5 x 9 cm (Celor 4,8/90 mm, kürzeste Aufnahmedistanz 2 m), in einer stabilen Fernglastasche untergebracht und einem Stapel in Gummituch eingewickelter Filmpacks im Tornister, an die Kriegsschauplätze gezogen. Ohne vorherige Prüfung hatte die Tenax – wie er nach Kriegsende kolportierte – alles gehalten, was er sich von ihr versprochen hatte. Hunderte Veröffentlichungen und eine Anzahl von Titelbildern der Berliner Illustrierten Zeitung waren entstanden [13]. Damit sei auch bewiesen, daß die kleinformatigen Fotos den drucktechnischen Anforderungen der Presse durchaus ausreichten. Auch wenn von vielen Kriegsreportern die kleinen sog. Feld-Kameras in den Schützengräben und an der Front benutzt wurden, blieb für die Pressefotografen, insbesondere die an der Heimatfront, die 13 x 18-Klapp-Kamera das gewohnte Arbeitsgerät, zu dem die meisten nach dem Krieg auch wieder zurückkehrten. Statt die kleinformatigen Aufnahmen vergrößern zu müssen, bot das Großformat in der schnellen Herstellung von mehreren Kontaktkopien, die an die Redaktionen verteilt werden mußten, einen arbeitstechnischen Vorteil.



Die 1920er Jahre: Zurück zur großen Glasplatte


Nach dem Krieg arbeiteten die Fotoreporter überwiegend wieder mit ihren klassischen großformatigen Pressekameras weiter, an deren Technik sich nach 1918 nichts änderte [14]. Über das Ende der 1920er Jahre hinaus blieben in der Pressefotografie fast ausschließlich die verschiedenen Typen der Spreizen-Klappkameras mit Schlitzverschluß in Gebrauch. Von diesen waren es wiederum zwei besondere Typen: die Kamera mit festen Spreizen (Goerz-Typ), bei der die Entfernungseinstellung am Objektiv erfolgte, und die Kamera mit verstellbaren Spreizen (Nettel-Typ), die die Entfernungseinstellung am Kameraoberteil über den Balgen zuließ, wodurch der Vorteil bestand, auch verschiedene Objektive unterschiedlicher Hersteller in gleicher Weise handlich und übersichtlich einstellen zu können.


Nur in einzelnen Fällen arbeiteten Pressefotografen auch mit einer Spiegelreflexkamera. Sie wurde deshalb weniger benutzt, weil dieser Kameratyp nicht in Augenhöhe, sondern wesentlich tiefer gehalten werden mußte und der „Operateur“ durch den geneigten Kopf „den Überblick über die Dinge verliert“ [15]. Außerdem hatte die Spiegelreflexkamera besonders bei bewegten Objekten einen Nachteil, weil die tatsächliche Aufnahme durch die Spiegelbewegung erst einen Augenblick später erfolgte. Auf der anderen Seite wurde dieser Kameratyp wiederum gerade bei bestimmten Sportaufnahmen, bei denen der Weg des Objektes vorherbestimmt werden konnte – insbesondere bei Hoch-, Weit- oder Stabhochsprung – bevorzugt eingesetzt, da durch den niedrigen Blickwinkel „der Sprung bildlich um so höher wirk[t]e“ [16].


Das universellere Modell war die Klapp-Kamera, die für den Sport bevorzugt in der Größe 9 x 12 cm zum Einsatz kam. Als Brennweite wurde neben der an sich genügenden 15-cm- die teleskopische 18-cm-Optik als Norm betrachtet, um „genügende Figurengröße im Bild“ [17] zu erreichen. In der übrigen Pressefotografie blieb das am meisten verwendete Aufnahmeformat 13 x 18 cm, das als völlig ausreichend bezeichnet wurde, da die an die Redaktionen einzureichenden Abzüge allgemein im Format nicht unter 12 x 16 cm sein dürften.


Beim Objektiv-Einsatz wurde vor allem darauf Wert gelegt, bei geringster Abblendung größtmögliche Tiefenschärfe zu erzielen. Deshalb kam für durchschnittlich vorkommende Fälle der Pressefotografie eine Lichtstärke von 6,3 bis 6,8 und 18 cm oder 21 cm Brennweite zur Anwendung, mit denen, abgeblendet auf F : 9 bzw. F : 12, noch ausreichende Belichtungszeiten von 1/40 oder 1/30 Sek. möglich waren. Für „Bildnisse von bedeutenden Persönlichkeiten“ wurden Objektive mit einer Brennweite von nicht unter 25 cm empfohlen. In der Sportfotografie sollte ein lichtstarkes 3,5- oder 4,5-Objektiv zum Einsatz kommen, um Belichtungszeiten von 1/350, 1/500 Sek. und kürzer zu erreichen. In übrigen Situationen wurde von den lichtstärksten Objektiven wegen des hohen Gewichts und der geringen Tiefenschärfe abgeraten, weil bei einer Brennweite von 18 cm und 3,5 Öffnung die Unendlichkeitseinstellung schon bei 40 Metern nicht mehr galt [18].


Das Wechseln von Brennweiten zur Änderung des Aufnahmefeldes oder die Überbrückung von Distanzen blieb ebenfalls weiterhin wenig üblich. Die Kamerasucher waren beim 13 x 18-cm-Format auf die Normalbrennweite von 18 cm bzw. 21 cm ausgelegt, die einen Aufnahmewinkel von ca. 60° bzw. 54° besaßen und damit ein leicht weitwinkliges Bildfeld erfaßten (ein Kleinbild-Normalobjektiv von 5 cm hat einen Aufnahmewinkel von rd. 47°). Ausgewiesene Weitwinkel- oder Teleobjektive konnten nur über die Mattscheibe eingestellt werden, was wiederum die Fixierung der Kamera auf einem Stativ erforderlich und die Ausschnittfestlegung zeitaufwendig machte. Die Scharfstellung und Einstellung zum Objekt wurde primär, wie insbesondere in der Sportfotografie, „durch Vor- und Zurückspringen“ [19] des Fotografen hergestellt. In den meisten Fällen galt es als zweckmäßig, Aufnahmen nicht aus zu kurzer Entfernung zu machen und die Bilder lieber nachträglich im Ausschnitt zu vergrößern, weil sich bei der Aufnahme aus kurzer Distanz die richtige Entfernungseinstellung erschwerte [20]. Das Entfernungschätzen gehörte zu den wichtigsten Übungen bei der Verwendung einer Handkamera. Hierzu wurde Anfängern geraten, sich durch Nachmessen eine mittlere Entfernung von fünf Metern fest einzuprägen, um von da aus Distanzen zwischen zwei und zehn Metern insbesondere bei sich bewegenden Personen schnell abschätzen zu können.


Ebenso wichtig war die richtige Einstellung der Belichtungsdauer des Schlitzverschlusses, die durch die Schlitzbreite und die Federspannung (von einer Skala an der Kamera ablesbar) gesteuert wurde und bei in vier bis fünf Metern vorübergehenden Personen eine hohe Spannung und nicht mehr als 2 cm Schlitz betragen sollte. Wo möglich, war auch die Richtung des ablaufenden Verschlusses der gleichen Richtung des Objektes anzupassen, um Bewegungsunschärfen zu vermeiden [21]. Bei Aufnahmen in Innenräumen, z.B. in Theatern, gab es auch für das Blitzpulver bzw. die Blitzlichtkapseln (von Agfa und Geka seit 1912; ab 1919 auch in rauchloser Form, Geka-Fumosin [22]) keinen Ersatz, und es mußte in Deutschland weiterhin nach den bestehenden Polizeivorschriften (wie die in Berlin seit 1913 bestehende und 1928 erneuerte [23], nach der ein Feuerwehrmann anwesend zu sein hatte) gearbeitet werden. Schauspielerporträts unter Bühnenscheinwerferbeleuchtung benötigten ca. 1 Sek. Belichtungszeit. Tagungen mit Personen, die auf langes ruhiges Sitzen in Front zum Fotografen ausgerichtet waren, konnten mit Langbelichtungszeiten von bis zu 30 Sek. realisiert werden. In Parlamenten war von der Tribüne das Rednerpult nur mit lichtstarken, langbrennweitigen Optiken und ebenfalls mehreren Sek. Belichtungszeit aufzunehmen [24]. Höchstempfindliches Aufnahmematerial lag zu Beginn der 1920er Jahre weiterhin bei nur 21° Scheiner (ca. 10 DIN [25]).



Kleines Format und große Blende


Das Fotografieren in geschlossenen Räumen, wie z.B. Gerichtssälen, in denen das Fotografien in Deutschland verboten bzw. nur mit Genehmigung des Richters erlaubt war und somit Aufnahmen nur verdeckt zu erreichen waren, bevor das Gerichtspersonal den Fotografen des Saales verwies, wurde durch die 1924 von der Firma Ernemann herausgebrachte Ermanox – die als lichtstärkste Kamera der Welt vorgestellt wurde – revolutioniert [26]. Die Ermanox für 4,5 x 6-cm-Platten bzw. Planfilm besaß einen Schlitzverschluß bis 1/1000 Sek., einen Newton-Sucher und ein fest eingebautes Objektiv, Ernostar 1:2,0/100 mm, das 1925 durch das noch lichtstärkere Ernostar 1,8/85 mm ersetzt wurde. Das Objektiv – eigentlich für Kinozwecke konstruiert – war ein unvergüteter [27] Anastigmat mit einem Bildwinkel von 41° bei der 100-mm-Brennweite. Die Lichtstärke 1 : 2,0 betrug gemäß der Steigerung des Öffnungsverhältnisses das fünffache gegenüber einem bis dahin als lichtstark angesehenen Objektiv von 1 : 4,5 [28] und eröffnete damit einen Belichtungsspielraum, der nunmehr auch Aufnahmen bei vorhandener Raumbeleuchtung zuließ.


Als erster Ermanox-Fotograf ist Hans Böhm bekanntgeworden, der 1924/25 aufsehenerregende Fotos in der Wiener Max-Reinhardt-Bühne aufgenommen hatte [29]. Die Wiener Theaterzeitung Die Bühne veröffentlichte in ihrer ersten Ausgabe im November 1924 dazu den Bericht „Der Schnellphotograph in der Loge“ [30]. Während die ansonsten in Zeitschriften gezeigten Theaterfotos in der Generalprobe eigens gestellt wurden, waren die Szenen nunmehr im laufenden Stück aufgenommen. Die Ermanox hatte ihre Leistungsfähigkeit in der Theaterfotografie bewiesen, mit dem am Ort vorhandenen Licht auszukommen. Spätestens als Zeitschriften die Bilder von Erich Salomon veröffentlichten, die er mit dieser Kamera vor allem in Gerichtsverhandlungen heimlich aufgenommen hatte, wurde deutlich, daß dieses Gerät für den Fotojournalismus neue Dimensionen eröffnete. Erich Salomon wurde in Fachkreisen zugeschrieben, daß er – durch den Einsatz dieser Kamera – die Bildreportage in den Innenraum verlegt habe [31].


Innenaufnahmen waren in den illustrierten Zeitschriften bis dahin wenig zu sehen gewesen, so daß das Problem der „Illustrationsphotographie und Innenaufnahmen“ auch in der Fotofachpresse behandelt wurde. Noch 1924 hatte die Deutsche Photographen Zeitung festgestellt, daß derartige Aufnahmen „eine der schwierigsten Aufgaben der Photographie [seien und es] für diese Art von Aufnahmen vieler Kniffe und Erfahrungen“ [32] bedürfe.


Trotz ihrer außergewöhnlichen Ausstattung fand die Herstellung der Ermanox (und ihrer Folgemodelle, in größeren Formaten und der Spiegelreflex-Variante) mit der Produktionseinstellung 1931 ein schnelles Ende. Bei allem Fortschritt, dem kleinen Aufnahmeformat und der daraus resultierenden Relation von Brennweite und größtmöglicher Blendenöffnung sowie ihrer Handlichkeit, war die Ermanox durch den zeitaufwendigen Platten-/Planfilmwechsel von Aufnahme zu Aufnahme ein nahezu ebenso langsames Arbeitsgerät wie die großformatigen Klapp-Kameras. Ein Modell für Rollfilm gab es nicht. Der Rollfilm und entsprechende „Kleinkameras“ [33] (wie die Modelle der Goerz Tenax) blieben bei den Pressefotografen, obwohl sie während des Ersten Weltkrieges ihre professionelle Tauglichkeit bewiesen hatten, vorerst weiterhin außer acht.



Die „Kleinfilm-Photographie“


Die Leitz-Camera, die 1913 in ihrer Urform als Gerät für Probebelichtungen von Kinofilmmaterial entwickelt worden war, wurde 1925 auf der Leipziger Frühjahrsmesse als Leica vorgestellt. Sie verarbeitete den in der Kinoproduktion verwendeten perforierten 35-mm-Normalfilm, auf dem 36 Aufnahmen, jeweils im Format 24 x 36 mm (was dem doppelten Kinobildformat entsprach), Platz hatten. Diese Kamera stellte mit der Anzahl hintereinander möglicher Aufnahmen ein Potential zur Verfügung, das bisher kein Aufnahmegerät und -material in der Fotografie bot. Die Leica I verfügte über einen Schlitzverschluß von 1/20 bis 1/500 Sek. und ein fest eingebautes Objektiv Elmax 3,5/50 mm, später Elmar 3,5/50 mm.


Vorerst gab es für das Kleinformat jedoch kaum geeignetes Filmmaterial. Der Kinofilm war wegen seiner Grobkörnigkeit für Vergrößerungen eher ungeeignet, so daß zunächst die von Perutz im Ersten Weltkrieg (1916) für die Luftaufklärung hergestellte Emulsion (Spezial-Flieger-Platte) des „Perutz-Fliegerfilms“ (ab 1922 wurde die Filmfabrikation aufgenommen) [34] das einzig brauchbare Aufnahmematerial darstellte, das zwar sehr kontrastreich und wenig empfindlich war (ca. 7 DIN), aber mit seiner relativen Feinkörnigkeit das erforderliche Auflösungs- und Vergrößerungsvermögen besaß [35]. Für die Leica gab es Film-Kassetten, die erst beladen werden mußten. Erst im Laufe der Jahre kamen entsprechende Filmtypen auf den Markt, so daß der Leica-Fotograf 1930 zwischen verschiedenen Materialien, wie Perutz Feinkornfilm (18° Scheiner), Gevaert Spezialfilm (19° Scheiner), Panchromatischer Perutz-Film (14° Scheiner) oder Agfa-Panfilm Typ E (21° Scheiner), auswählen konnte [36]. Mit Vorbehandlung durch Hypersensibilisierung waren mit diesen Filmen Bühnenaufnahmen bei offener Blende 3,5 und 1/20 Sek. möglich [37]. 1931 brachte Agfa einen Isochrome-Film mit 26° Scheiner sowie den Final-Feinkornentwickler heraus, der das bei der Vergrößerung auftretende störende Korn deutlich minimierte. Aber erst ab 1932 konnte der Film, nachdem Agfa die Kleinbildfilm-Patrone eingeführt hatte, vereinfacht bei Tageslicht in die Kameras eingelegt werden [38].


Mit der Leica war – für einige Jahre – ein singuläres Aufnahmesystem entstanden. In der Benennung dieser Kleinformat-Fotografie, den Begriff des Kleinbilds oder der Kleinbildfotografie gab es im Sprachgebrauch noch nicht, hatten sich deshalb auch die Filmhersteller zunächst auf das Kürzel „Leica“ orientiert und bezeichneten ihre Produkte mit „Perutz-Leica-Spezialfilm“ (16° Scheiner) oder „Hauff-Leica-Film“ (19° Scheiner) [39]. Die Fachpresse beschrieb den Apparat als Leitz’sche „Kleinfilm-Kamera“ [40]. Das Leica-Buch von Curt Emmermann (1928) führte den Titel „Kleinfilmphotographie“ [41], und selbst die erste Zeitschrift „Die Leica“ (1931) bezeichnete sich im Untertitel als „Hefte für Kleinfilmphotographie und Projektion“, die 1936 unter dem Titel „Kleinfilm-Foto“ (bis 1942/43) fortgeführt wurde [42]. Nur das 1928 erschienene Buch von Fritz Beese, „Die Grundlagen des Kleinbildwesens“ [43], benutzte bereits die Bezeichnung „Kleinbild“, die sich in der Folgezeit als Gattungsbegriff neben der Groß- und Mittelformat-Fotografie etablierte.


Von den Pressefotografen hatten diese „Kleinbild-Fotografie“ vorerst jedoch nur wenige für sich entdeckt. Der Kopenhagener Fotoreporter Svend Liisberg von der Tageszeitung „Politiken“ beschrieb 1927 den großen Vorteil der Leica damit, daß er in derselben Zeit, in der Kollegen eine Aufnahme machen würden, selbst fünf- bis sechsmal auslösen und so die wichtigsten Augenblicke erfassen könne [44]. Diese leichtere und vor allem schnellere Bedienbarkeit machte den Erfolg der Kleinbildkameras in der Pressefotografie aus, die in den Folgejahren erschienen.


Nach dem ersten Leica-Modell kam 1930 die Leica (I) mit Schraubgewinde und Wechselobjektiven heraus. Neben dem Standardobjektiv Elmar 3,5/50 mm gab es das Weitwinkel Elmar 3,5/35 mm, das lichtstarke Normalobjektiv Hektor 2,5/50 mm und das Teleobjektiv Elmar 4,5/135 mm; 1931 kamen das Elmar 4,0/90 mm und das Hektor 1,9/73 mm hinzu. Der Verschlußaufzug und der Filmtransport waren seit diesem Modell über einen Drehknopf sychronisiert. Die Entfernungseinstellung mußte allerdings noch vom aufsteckbaren Entfernungsmesser auf das Objektiv übertragen werden. Erst die 1932 herausgebrachte Leica II hatte den Entfernungsmesser über einen zusätzlichen Meßsucher in die Kamera integriert, gekuppelt mit den Objektiven. Die Objektivpalette wurde um das Elmar 6,3/105 mm erweitert. Für die verschiedenen Brennweiten gab es entsprechend an die Bildwinkel angepaßte, auf das Kameragehäuse aufsteckbare Sucher.


Dem Leica-Vorbild folgend, brachte die Fa. G.A. Krauss 1931 unter dem Namen Peggy eine Kleinbild-Sucherkamera mit Spreizen-Klapp-Konstruktion und Festobjektiv Tessar 3,5/50 mm heraus, die über einen Zentralverschluß bis 1/300 Sek. und Entfernungsmesser, einen gekuppelten Filmtransport und Verschlußaufzug sowie ein eingebautes Messer verfügte, mit dem teilbelichtete Filme abgeschnitten werden konnten, was Pressefotografen zu schätzen wußten. Obwohl das 1932 nachfolgende Modell Peggy II u.a. nunmehr über einen gekuppelten Entfernungsmesser verfügte und mit lichtstärkeren Objektiven, z.B. dem Biotar 2,0/50 mm, erhältlich war, lief die Produktion schon 1934 wieder aus: Der Kamera fehlten wechselbare Objektivbrennweiten.


Die Leica, bis dahin einzige Systemkamera, erhielt 1932, als Zeiss Ikon mit der Contax I eine weitere Kleinbildsucherkamera heraus brachte, deutliche Konkurrenz. Das Leichtmetallgehäuse war ausgestattet mit einem Metallschlitzverschluß 1/25–1/1000 Sek. (der ab dem 1933 geänderten Modell über Langzeiten von 1/2 Sek. bis 1/1000 verfügte), einem eingebauten und über einen separaten Meßsucher gekuppelten Entfernungsmesser mit 100 mm Meßbasis sowie einer Bajonettfassung, für die 1932 folgende Objektive geliefert wurden: Tessar 2,8 und 3,5/50 mm, Sonnar 2,0/50 mm, Sonnar 1,5/50 mm, Triotar 4,0/85 mm und Sonnar 4,0/135 mm. Die Ausschnittbegrenzung der langen Brennweiten 85 und 135 mm wurde durch Sucher-Vorsatz-Masken dargestellt. Zusätzlich gab es einen auf das Gehäuse steckbaren optischen Universalsucher, drehbar für Brennweiten von 28, 50, 85, 135 bis 180 mm; das Tessar 8/28 mm und das Tele-Tessar 6,3/180 mm erschienen erst im darauffolgenden Jahr 1933.


Die beiden Kleinbildkameras [45] Leica und Contax hatten mit ihren 1933 jeweils sechs (35/50/73/90/105/135 mm) bzw. fünf (28/50/85/135/180 mm) zur Verfügung stehenden unterschiedlichen Brennweiten die Grundlage für die Art des Fotografierens verändert, da mit Hilfe der verschiedenen Bildwinkel sowohl der Aufnahmestandort beibehalten und Distanzen überbrückt sowie aus kürzeren Entfernungen ganze Szenen (Weitwinkel) oder Details (Tele) erfaßt werden konnten. Pressefotografen konnten damit besser auf wechselnde Situationen reagieren. Neben der Bediengeschwindigkeit – gekuppelter Filmtransport und Verschlußaufzug sowie verbundene Entfernungsmessung und -einstellung – führten geringeres Gewicht und Volumen zu einer Handlichkeit, die leichtere Blick- und Richtungswechsel zuließ und damit bisher in diesem Ausmaß nicht vorhandene Möglichkeiten der Bildgestaltung eröffnete. Zeiss und Leitz führten zudem mit ihrem Sonnar 1,5/50 mm (1932) und dem Hektor 1,9/75 mm (1931) [46] – sowie späteren weiteren Konstruktionen – die von der Ermanox bekannten Vorteile der besonders lichtstarken Objektive auch in der Kleinbildfotografie ein. Für die Pressefotografie war damit das Aufnehmen in nahezu jeder Situation möglich.



Platte und Film


Die herausragende Rolle der Ermanox hatte, obwohl noch andere Kameramodelle mit ebenso lichtstarken Objektiven erschienen waren (z.B. 1929 die Ihagee-Nachtkamera, eine Würfel-Box-Kamera mit Rahmensucher für 4,5 x 6 cm Platten und u.a. mit dem Meyer Plasmat 1,5/90 mm ausgerüstet), auf jeden Fall für die Pressefotografie das kleinere/mittlere Format (Platten- bzw. Rollfilm) – nach den Erfahrungen im Ersten Weltkrieg – nunmehr in Verbindung mit einer lichtstarken Optik wieder interessant gemacht.


Für dieses „Mittel-Format“ brachte 1926 die Fa. Plaubel die Sucherkamera Makina I zur Verwendung von 6,5 x 9 cm Platten (ab 1933 als Makina II auch für Rollfilm), mit Zentralverschluß bis 1/200 Sek. und dem Objektiv Anticomar 2,9/100 mm auf den Markt. Für den Rollfilm stellte Franke & Heidecke 1929 die Rolleiflex I als zweiäugige Spiegelreflexkamera im Format 6 x 6 cm mit Zentralverschluß bis 1/300 Sek. und Tessar 3,8/75 mm vor, die 1932 als Rolleiflex-Standard mit Transportkurbel eine schnellere Aufnahmefolge der 12 Bilder eines Rollfilms ermöglichte. Die Konstruktion der zweiäugigen Spiegelreflex hatte im Vergleich zu den einäugigen den Vorteil, daß während der Aufnahme keine Spiegelbewegung stattfand und dem Fotograf durch das zweite Objektiv über die Mattscheibe mit einem aufrechtstehenden/seitenverkehrten Bild die Sicht auf das Motiv erhalten blieb.


Diese leichten und handlichen Kameras mit Zentralverschluß galten bei den Bildreportern jedoch für die Sportfotografie nur zum Teil als tauglich, d.h. nur bei Sportarten, bei denen es sich um die Wiedergabe einzelner Personen handelte oder keine großen Geschwindigkeiten auftraten [47]. Die gleiche eingeschränkte Anwendung wurde um 1931 auch den kleinformatigen Kameras (die den Kinofilm verwendeten) zugetraut, sofern ein erstklassiges Objektiv benutzt wurde [48]. Beide Kameratypen, Makina und Rolleiflex, erfreuten sich vermehrter Verwendung bei Pressefotografen als zuverlässiges Werkzeug für das Mittelformat [49], zumal beim Rollfilm auch zunehmend verbessertes Material zur Verfügung stand, wie z.B. der 1928 von Ilford herausgebrachte panchromatische Rollfilm. Panfilme verfügten zu diesem Zeitpunkt wegen einer Lücke im gelb-grünen Bereich jedoch noch nicht über die Sensibilität des gesamten Farbspektrums, weshalb für bestimmte Aufnahmesujets weiterhin eine Filterung erforderlich war [50]. Erich Salomon äußerte sich sehr positiv über das neue Aufnahmematerial, das er auch als Platten in seiner Ermanox verwendete: „Ich arbeite jetzt mit ganz neuen Platten von Ilford (bei Tage 700, bei künstl. Licht 2000 H&D; 500-600 H&D [51] entsprachen einer Empfindlichkeit von 20° Scheiner [52]). Sie sind panchromatisch, müssen ganz im Dustern eingelegt und entwickelt werden, arbeiten aber wunderbar, ganz glasklar und haben bei einer Vergrößerung von 4 1/2 mal 6 auf 30 mal 40 nicht das geringste Korn ... Ich will die Platten hypersensibilisieren, bin aber noch nicht dazu gekommen.“ [53] Die Hypersensibilisierung [54] gehörte zur Arbeitstechnik der Pressefotografen, um eine Empfindlichkeitssteigerung zu bewirken. Sie nutzten die lichtempfindlichsten Platten, die 1929 bei 26° Scheiner [55] (ca. 16 DIN) lagen.


Zur Ermittlung der richtigen Belichtungseinstellung waren inzwischen empfindlichere optische Belichtungsmesser, wie der Diaphot von Zeiss Ikon (1925) und das Lios-Aktinometer von Schlichter (1927) [56] auf dem Markt. Und für die Blitzlicht-Fotografie hatte 1929 die Augsburger Firma Hauser mit ihrem „Vacublitz“ eine wesentliche Verbesserung herausgebracht, der von der Hauff-Leonar AG vertrieben wurde. Diese ab 1932 von Osram übernommene Blitzlampe war eine mit einer dünnen Aluminiumfolie und Sauerstoff gefüllte Glaskolbenbirne, die von einem Taschenlampenbatterieansatz (4 Volt) und einem sog. Vacublitzauslöser, den es nach und nach in verschiedenen Ausführungen für viele Kameraarten gab, gezündet wurde. Die Zündung erfolgte durch einen regelbaren Mechanismus, der mit der Auslösung des Objektivverschlusses so verbunden war, daß der Blitz sich während des Ablaufs des auf 1/10 bis 1/25 Sek. gestellten Verschlusses entlud. Eine Kuppelung mit dem Auslöser, d.h. eine wirkliche Synchronisation mit einer kürzeren Belichtungszeit, erfolgte dabei jedoch nicht, so daß es bei hellem Umgebungslicht zu einer Vorbelichtung kommen konnte. Die Leuchtdauer des Blitzes betrug ungefähr 1/25 bis 1/50 Sek., was für mäßig schnelle Bewegungen ausreichte [57].



Formatwechsel und -tradition


Diese deutlichen Handhabungserleichterungen in der Fotografie kamen einer Reihe von später bekannt gewordenen fotografierenden Reportern zugute, die aus anderen Berufen kommend, gegen Ende der 1920er Jahre für illustrierte Zeitschriften zu arbeiten begannen und, unvorbelastet vom etablierten Fotografenhandwerk, mit der neuen und leichter zu handhabenden Technik die erweiterten Aufnahme- und Darstellungsmöglichkeiten nutzten.


Als Protagonist dieser Entwicklung hatte Erich Salomon 1926 noch mit einer großformatigen Contessa-Nettel für die Presse zu fotografieren begonnen, 1927 die Ermanox angeschafft und 1930 eine Leica gekauft, die er im gleichen Jahr auf seiner ersten Amerikareise einsetzte. Ein Problem bereiteten ihm allerdings die zunächst gegenüber der Ermanox wesentlich lichtschwächeren Leica-Objektive, insbesondere das Weitwinkel 3,5/35, von dem er sich einen Vorteil versprochen hatte gegenüber dem kleinen Bildfeld der Ermanox, über das er sich immer wieder ärgerte. Eine Qual für seine Augen war auch der Leica-Entfernungsmesser bei Kunstlicht. Es war kaum möglich, die Entfernung genau einzustellen, und bei fast voller Blendenöffnung stimmte diese nicht. Zum leiseren Arbeiten setzte er außerdem Compur-Verschlüsse vor die Leica-Objektive. So ausgerüstet fotografierte er später oft mit zwei Leicas auf einem Stativ, jeweils mit einem Elmar 3,5/35 mm und einem Leitz Xenon 1,5/50 mm (das erst 1936 herauskam) bestückt. Ab Mitte 1933 benutzte Salomon die Ermanox nicht mehr [58].


Salomon hatte damit binnen kurzer Zeit seine Arbeitstechnik vom großen über das mittlere zum kleinen Aufnahmeformat gewechselt und hat mit seinen Bildergebnissen andere Fotoreporter der späten 1920er Jahre zu gleicher Arbeitsweise angeregt. Von Tim Gidal ist überliefert, daß er selbst und sein Bruder Georg sowie Walter Bosshard, Neudatschin (Neudin), Harald Lechenperg, Seldow und Wolfgang Weber jeweils von Beginn ihrer fotografischen Tätigkeit die Leica und für Spezialzwecke die Ermanox, Rolleiflex oder Makina benutzten. Martin Munkacsi arbeitete zunächst mit einer 9 x 12-Reflexkamera und ab 1931 mit der Rolleiflex und Leica. Felix H. Man fotografierte mit einer 9 x 12-Contessa-Nettel-Plattenkamera, ab Ende 1929 mit der Ermanox und ab 1932 mit der Leica. Kurt Hübschmann (später Kurt Hutton) arbeitete seit 1929 mit der Ermanox und ab 1930 ebenfalls mit der Leica. Alfred Eisenstaedt verwendete neben verschiedenen anderen Kameras auch die Ermanox und setzte ab 1931 die Leica ein [59].


Im Gegensatz zu diesen vielfach reisenden Fotoreportern stiegen die übrigen Pressefotografen, meist als „gelernte“ Fotografen offensichtlich stärker den fotografisch-handwerklichen Traditionen verbunden und mehr in der tagesaktuellen Berichterstattung tätig, nicht so schnell in die neuen Techniken ein.


Die Kamerahersteller brachten neben den seit Mitte der 1920er Jahre vorgestellten neuen klein- und mittelformatigen Kameras, die ganz auf das mobile Fotografieren ausgerichtet und damit auch für die Anwendung in der journalistischen Fotografie prädestiniert waren, ebenso auch weiterhin neue klassische Pressekameras als Sucher- und Reflex-Modelle im Großformat heraus. Von den seit 1926 in der Zeiss Ikon AG aufgegangenen Firmen wurden die Goerz Ango-Kameras nicht weiter produziert [60], die Minimum-Palmos nur noch bis 1927 und die Deckrullo-Nettel bis 1931/32 gebaut. Als Speizen-Faltkamera-Typ blieb das ab 1929 als Zeiss Ikon-Nettel bezeichnete und in den Formaten von 4,5 x 6 bis 13 x 18 cm mit Tessar-Objektiven (u.a. 3,5/150 mm oder 210 mm für 9 x 12 und 13 x 18 cm) gefertigte Modell [61], das bis 1937 gebaut wurde. Mentor brachte 1930 die Mentor II Spreizen-Falt-Kamera neu im 12 x 16,5-cm-Format heraus. Vom Typ Spiegelreflex-Kamera fertigte Zeiss 1927 seine Miroflex 9x12 cm mit Tessar 2,7/165 mm, Schlitzverschluß bis 1/2000 Sek. als Spreizen-Falt-Spiegelreflex sowie Mentor 1932 seine Klapp-Reflexkamera im Format 12 x 16,5 cm und 13 x 18 cm mit Tessar 4,5/210 mm. Zum wirklich schnellen Arbeiten waren diese großformatigen Kameras nicht geeignet. Allein das Wechseln der Platten-Kassette, das Heraus- und Hineinschieben des Kassettenschiebers, das Aufziehen des Verschlusses, die Einstellung der Schlitzbreite, das eher ungenaue Visieren durch Rahmen- oder Newton-Sucher auf dem Kameragehäuse und die Entfernungseinstellung benötigten viele Handgriffe bis zur Einsatzbereitschaft. Hinzu kam ein wenig geräuschloses Arbeiten, wenn der Verschluß beim Ablauf heftig auf seinen Sitz schlug.


Der bei den Spiegelreflexkameras erreichte Vorteil der Bildeinstellung über die Mattscheibe, insbesondere bei unterschiedlichen Brennweiten, machte sich dagegen in wechselnden Situationen durch das verzögernde Hochklappen des Spiegels (ca. 1/5 Sek.) wieder als Nachteil bemerkbar. Insbesondere für die Sportfotografie galten die 9 x 12-Spiegelreflexkameras deshalb und aus Gewichtsgründen Ende der 1920er Jahre nicht mehr als das Idealgerät [62]. Geeigneter für universelle Sportaufnahmen wurde die Spreizenkamera (9 x 12 cm) gehalten, mit Schlitzverschluß bis 1/1000 Sek., wobei die von einigen Herstellern angegebene 1/2500 Sek. als „nur eine reklamemäßig zu bewertende Angabe“ [63] und nicht nötig sei. Als Sucher schied der Newtonsucher dabei aber aus, da er das Bild zu klein und den Ausschnitt oft falsch wiedergab. Als einzig brauchbarer Sucher galt der Ikonometer, bestehend aus einem Rahmen über dem Objektiv in der Größe des Kameraformats und einem Visier über dem Mattscheibenrahmen, der den tatsächlichen Bildausschnitt des Aufnahmeformates zeigte.


Die Wahl der Kamera hatte bei den Pressefotografen zu einem wesentlichen Teil mit dem Aufnahmematerial zu tun. Die Frage Platte oder Film wurde noch überwiegend für die schwere Platte entschieden, weil diese zunächst im allgemeinen noch empfindlicher waren und vor allen Dingen sicher in der Schärfenebene des Objektivs, die leichten Filme dagegen oft nicht plan lagen und kleine Abweichungen bei lichtstarken Objektiven zu erheblichen Unschärfen führten. Lediglich bei einer größeren Anzahl oder schneller anzufertigenden Aufnahmen kam der Packfilm zur Anwendung, der weniger Gewicht bedeutete und inzwischen als sog. hochorthochromatischer Film ebenfalls kurze Belichtungszeiten zuließ. Nicht zuletzt wurden Platten aber auch wegen der möglichen individuellen Sichtentwicklung (bei orthochromatischem Material) und ihres noch geringeren Preises vorgezogen [64].


Obwohl es also Ende der 1920er Jahre handliche Kameras für Rollfilm oder Kleinbildfilm gab und Packfilm bzw. Planfilm als Ersatz der Glasplatte (z.B. von Agfa seit 1899 [65]) vorhanden war [66], Anfang der 1930er Jahre das Filmmaterial immer weitere Verbesserungen bzw. Empfindlichkeitssteigerungen erfuhr und die alte Überzeugung „Platte bleibt Platte“ [67] fortschreitend ihre Geltung verlor, blieben die Plattenkameras, meistens im Format 13 x 18 cm und 9 x 12 cm, auch weiterhin überwiegendes Handwerkszeug im Tagesgeschäft der Pressefotografie. Hier setzten sich die in Fachzeitschriften und Fachbüchern zunehmend propagierten kleinformatigen Kameras für journalistische Zwecke [68] eher zögerlich durch – auch noch in den 1930er Jahren.



Anmerkungen


[1] Über den Einsatz von Fotografen zur Kriegsberichterstattung vgl. Weise, Bernd: Propagandamittel – Fotografie im I. Weltkrieg, in: Ders., Fotografie in deutschen Zeitschriften 1883–1923, Stuttgart 1991, S. 37 ff.
[2] Vgl. Eder, Joseph Maria: Geschichte der Photographie, Halle 1932, S. 674 sowie Kadlubek, Günther, und Hillebrand, Rudolf: Agfa – Geschichte eines deutschen Weltunternehmens von 1867 bis 1997, Remscheid 1997, S. 15 ff.
[3] Vgl. Die photographische Ausrüstung für Aufnahmen auf Kriegsschauplätzen, von Straßenszenen usw., in: Photographische Chronik Nr. 97/98 (1914), S. 569 ff. und Nr. 99/110 (1914), S. 577.
[4] Vgl. Anzeige der Firma C.P. Goerz, in: Deutsche Photographen Zeitung Nr. 50 (1916), S. V.
[5] Die Feldkamera, in: Photographische Chronik Nr. 22/23 (1915), S. 89 ff.
[6] Vgl. Photographische Chronik Nr. 80/81 (1915), S. 321 f.
[7] Vgl. Eder, Joseph Maria: wie Anm. 2, S. 679 f.
[8] Photographische Kameras im Felde, in: Photographische Chronik Nr. 6/7 (1915), S. 25.
[9] Vgl. Die Verwendung von Rollfilmen, in: Deutsche Photographen Zeitung Nr. 19 (1916), S. 147.
[10] Vgl. Deutsche Photographen Zeitung Nr. 44 (1916), S. 323.
[11] Vgl. Hannecke, Paul: Das Arbeiten mit kleinen Kameras nebst praktischer Anleitung zur Entwicklung der kleinen Negative sowie der Herstellung von Kopien und Bildvergrößerungen, Halle 1915.
[12] Vgl. Die Feldkamera, in: Photographische Chronik Nr. 72/73 (1915), S. 290 f.
[13] Vgl. Kriegs-Berichte, in: Photographische Chronik Nr. 33 (1936), S. 286.
[14] Vgl. Kunze, Volker: Die Technik der Pressefotografen um 1918, in: Neue Gesellschaft für bildende Künste (Hg.): Revolution und Fotografie – Berlin 1918/19, Berlin 1989, S. 124–134.
[15] Boedecker, Ludwig: Pressephotographie und Bildberichterstattung, Bunzlau 1926, S. 12.
[16] Boedecker, Ludwig: wie Anm. 15, S. 13.
[17] Dietze, Carl: Presse-Illustrations-Photographie, Leipzig 1927, S. 125.
[18] Dietze, Carl: wie Anm. 17, S. 131.
[19] Boedecker, Ludwig: wie Anm. 15, S. 28.
[20] Vgl. Aus der Praxis der Illustrationsphotographie, in: Zeitungs-Verlag (ZV) Nr. 18 (1933), S. 298.
[21] Vgl. Boedecker, Ludwig: wie Anm. 15, S. 15–17.
[22] Vgl. Rauchloses Blitzlicht – ein gelöstes Problem!, in: Deutsche Photographen Zeitung Nr. 51–52 (1919), S. 170.
[23] Vgl. Bekanntmachung des Polizeipräsidenten von Berlin, vom 20. September 1928; in: Amtliche Nachrichten, W. 57/1928.
[24] Vgl. Boedecker, Ludwig: wie Anm. 15, S. 38 und 41.
[25] Vgl. Solf, Kurt Dieter: Fotografie – Grundlagen Technik Praxis, Frankfurt 1971, S. 40.
[26] Vgl. Ernemann. Vorbildliche Cameras mit führender Optik bis 2,0, 1,8, Dresden 1925.
[27] Die Vergütung wurde erst 1935 entwickelt und ab Anfang der 1940er Jahre u.a. von Zeiss im Objektivbau eingeführt; vgl. Baier, Wolfgang: Quellendarstellung zur Geschichte der Fotografie, Leipzig/München 1977, S. 317.
[28] Vgl. Deutsche Photographen Zeitung Nr. 9/10 (1924), S. 110 f; Nr. 13/14 (1924), S. 154 ff.
[29] Vgl. Böhm, Hans: Die Wiener Max Reinhardt-Bühne im Lichtbild, Wien 1925; Ders.: Photographieren bei Nacht. Kamera-Arbeit ohne Tageslicht, Berlin 1928.
[30] Die Bühne, 1. Jg., Nr. 1 vom 6. November 1924, S. 12.
[31] Vgl. Weise, Bernd: Fotojournalismus. Erster Weltkrieg – Weimarer Republik, in: Honnef, Klaus, Sachsse, Rolf, und Thomas Karin (Hg.): Deutsche Fotografie. Macht eines Mediums 1870–1970, Bonn 1997, S. 85.
[32] Deutsche Photographen Zeitung Nr. 5/6 (1924), S. 57 ff.
[33] Vgl. Das Arbeiten mit der Kleinkamera, in: Deutsche Photographen Zeitung Nr. 3 (1922), S. 51 ff.
[34] Vgl. Thiele, Hartmut: Perutz – ein Photo-Werk im Wandel der Zeiten. 120 Jahre Industriegeschichte von 1888 bis 2000, Privatdruck, München 2000, o. Paginierung, [S. 2f.].
[35] Vgl. Kleine Leica-Chronik, Hrsg. Ernst Leitz GmbH, Wetzlar 1982, S. 4.
[36] Vgl. Emmermann, Curt: Photographieren mit der Leica, Halle 1930, S. 36 ff.
[37] Vgl. Emmermann, Curt: wie Anm. 37, S. 47.
[38] Vgl. Kadlubek, Günther, und Hillebrand, Rudolf: wie Anm. 2.
[39] Vgl. Emmermann, Curt: wie Anm. 37, S. 36 ff.
[40] Vgl. Ernst-Leitz-Werke (Hg.): So urteilt man über die Leitz Leica-Kamera, Wetzlar 1929, S. 58.
[41] Vgl. Emmermann, Curt: Kleinfilmphotographie, Halle 1928 (Sonderdruck aus: Photo-Chronik).
[42] Vgl. Die Leica-Hefte für Kleinfilmphotographie und Projektion 1. Jg. (1931/1932–1935), Halle; Kleinfilm-Foto – Hefte für Kleinfilmphotographie und Projektion 6. Jg. (1936–1942), 43, Dez., Berlin.
[43] Vgl. Beese, Fritz: Die Grundlagen des Kleinbildwesens. Relative Öffnung, Schärfentiefe und Belichtungszeit. Die theoretischen und praktischen Grundlagen des neuen Photographiersystems. Die Kleinbildkamera – der Kameratyp der Zukunft, Neuhaldensleben 1928.
[44] Vgl. Liisberg, Sven: in: Ernst-Leitz-Werke, wie Anm. 41, S. 27.
[45] Vgl. Münzinger, Walter Max: Die Photographie mit Kleinkameras, Leipzig 1927.
[46] Vgl. Berek, Max: Das Wesen der Hektor-Konstruktionen, speziell des Hektor 7,3 cm 1:1,9, Wetzlar 1932.
[47] Vgl. Dietze, Carl: wie Anm. 17, S. 127.
[48] Vgl. Dietze, Carl: Presse-Illustrations-Photographie, Leipzig 1931, S. 136.
[49] Vgl. Fiedler, Franz: Der Berufsphotograph und die Plaubel Makina II, Dresden o.J. [1933].
[50] Vgl. Frerk, Friedrich Willy: Zweck und Anwendung des Meyer-Gelbfilter-Satzes in der Photographie, Görlitz 1930; Schiel, Max: Tonwertrichtige Photographie, Berlin 1931.
[51] Hurter & Driffield Empfindlichkeitsskala, die bis in die 1930er Jahre Verwendung fand.
[52] Vgl. „Satrap-Ultra-Rapid-Platte mit einer Empfindlichkeit von 20 º Scheiner bzw. 500-600 H.D.“, in: Photographische Chronik, Nr. 12 (1925), S. 118.
[53] Vgl. Weise, Bernd: „Ich muß jetzt fort zum Reichstag“ Dr. Erich Salomon – Beruf: Photojournalist – Zu Arbeitstechnik und Geschäft im Photojournalismus um 1930, in: Frecot, Janos (Hg.): Erich Salomon „Mit Frack und Linse durch Politik und Gesellschaft“ – Photographien 1928–1938, München 2004, S. 27–46.
[54] Durch eine kurzzeitige hochintensive Vorbelichtung (Hypersensibilisierung) wurde die Lichtempfindlichkeit der Platte gesteigert und gleichzeitig die Gradation verflacht.
[55] Vgl. Photographische Chronik Nr. 8 (1929), S. 76: „ ... eine außergewöhnlich hochempfindliche Platte ... ist die Lumière- Opta-Platte [mit einer] Empfindlichkeit von 26 º Scheiner ... Sie wird daher bereits von einer großen Anzahl von Pressephotographen bevorzugt“.
[56] Vgl. Baier, Wolfgang: Quellendarstellung zur Geschichte der Fotografie, München 1977, S. 359.
[57] Vgl. Tillmanns, Urs: Geschichte der Photographie, Stuttgart 1981, S. 140 f.
[58] Vgl. Weise, Bernd: wie Anm. 54.
[59] Vgl. Gidal, Tim: Chronisten des Lebens – Die moderne Fotoreportage, Berlin 1993, S. 41.
[60] Der „Goerz-Katalog“, Berlin 1926 war die letzte Ausgabe über Goerz Kameras und Objektive, die Rückseite wies bereits die Firmenbezeichnung Zeiss Ikon auf.
[61] Vgl. Contessa-Nettel Cameras, Zeiss Ikon, Dresden 1926.
[62] Vgl. Dietze, Carl: wie Anm. 17, S. 127.
[63] Vgl. Dietze, Carl: wie Anm. 17, S. 126.
[64] Vgl. Dietze, Carl: wie Anm. 17, S. 128.
[65] Vgl. Baier, Wolfgang: wie Anm. 57, S. 280.
[66] Vgl. Mente, Otto: Die Filmphotographie, Berlin 1920; Schmidt, Hans: Das Arbeiten mit Filmen. Blattfilm, Packfilm, Rollfilm, Kinofilm, Berlin 1926.
[67] Dietze, Carl: wie Anm. 49, S. 137.
[68] Stiewe, Willy: Die Kamera des Journalisten, in: Deutsche Presse 1932/Nr. 23, S. 271–272, und Ders., in: Das Bild als Nachricht, Berlin 1932, S. 60 ff.


Der Artikel erschien als Print in: RUNDBRIEF FOTOGRAFIE, No.1 / 2005, S.27-33.

19.03.2012


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