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Texte zur zeitgenössischen Fotografie und digitalen Bildkunst
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Nachdenken über Fotografie - Gespräch mit Elmar Mauch über „Foto-Bild-Forschung“ 1.Folge

von Thomas Leuner


Der Fotograf, Künstler und Hochschuldozent Elmar Mauch beschäftigt sich seit langem mit dem Themenkreis Bildforschung und Denken in Bildern. Er hat in diesem Jahr das Institut für künstlerische Bildforschung gegründet, dessen Ziel es ist, das informelle Wissen über die Bildwirkung von Fotografien aufzuarbeiten und sichtbar zu machen.


Teil 1 des Gesprächs: Dramaturgie der Bilder, Bildrhetorik, Bildfolgewahrnehmung, Bildwahrnehmung im Fotobuch
Teil 2 des Gesprächs: Gefundene Bilder, Appropriation Art und Bildrevitalisierungsstrategien (erscheint im Jahre 2013)


Links Bild-Blogs:
www.fotokritik.de/imgblog_27.html
www.fotokritik.de/imgblog_28.html



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Auf Deiner Homepage (www.elmarmauch.de) finden sich Inhaltsangaben Deiner Lehraufträge. Überrascht hat mich, wie häufig Du Dich als Lehrinhalt auf Erkenntnisse der Filmtheorie und Filmmontage berufst. Sie scheinen geradezu existenzieller Baustein Deiner Lehre zu sein. Warum aber soll sich ein Fotostudent z. B. mit der Bildmontagetheorie des Russen Kuleschow (Kuleschow-Effekt) auseinandersetzen, obwohl er doch eigentlich nur lernen will, “gute“ Fotos zu machen?


Elmar Mauch
Es kann bei der Fotografie, so wie ich sie verstehe, nicht nur darum gehen, gute Bilder zu machen. Die Fotografie ist mir vielmehr eine Möglichkeit, mich mitzuteilen, Dinge festzuhalten, komplexe Zusammenhänge sichtbar zu machen und subjektive Positionen anschaulich zu machen. Um dieses einfache, aber doch so komplexe Medium entlang seiner Grenzen und Möglichkeiten einsetzen und intelligent anwenden zu können, muss man sein Wesen erkundet haben. Und dazu gehört für mich auch die Beschäftigung mit den Theorien und Praktiken des Bildes. Da ist Kuleschow richtungsweisend gewesen. Er hat über die Wahrnehmung von Bildabfolgen praktisch experimentiert. Und genau dieses Moment des Überganges zwischen den Bildern ist ein zentraler Punkt meiner Bildforschung. Diese Übergänge sind zwischen den Einzelbildern einer Serie genauso von Bedeutung wie bei den Abfolgen von Bildern in einem Buch.



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Das eingangs erwähnte „gute Foto (Bild)“ als Basis jeder „Bildforschung“ ist ein Topos aus der Tradition der handwerklichen/künstlerischen Fotografie des letzten Jahrhunderts. Es sollte die Vorstellung markieren, dass jeder einzelne Foto-Print mit einem gemalten Bild oder einer Grafik konkurrieren kann. Wenn ich Dich richtig verstehe, bedeutet für Dich Bildforschung aber nicht nur, dass man sich, wie in der traditionellen Kunstgeschichte, mit dem Einzelbild beschäftigt und dort Regelhaftigkeiten bei der Anordnung auf der Bildfläche feststellt, sondern Du willst den Blick auf das eigentliche „Wesen“ des Mediums Fotografie richten. Aber was ist das? Gehören dazu auch Bildzusammenstellungen auf Flickr? Fotobücher? Bildserien an der Galeriewand? Und – gibt es dazu überhaupt Theorien und Praktiken, die dies beschreiben?


Elmar Mauch
Das „gute Foto“ hat mich während meines Studiums der Fotografie natürlich auch beschäftigt. Dahin zu kommen, dass man die sichtbare Wirklichkeit in ein „gutes Foto“ umformen kann, das ist für sich eine wichtige Leistung, die gestalterisches und ästhetisches Empfinden erfordert. Um mit Fotografie sein Geld zu verdienen und bei verschiedenen Anforderungen eine schnelle bildliche Umsetzung zu finden, ist diese Art der grundlegenden Beherrschung des Mediums unerlässlich.
Bei der Suche nach einer eigenen Bildsprache bin ich aber, während meines Studiums, immer wieder an die Grenzen der Straight Photography gestoßen. Diese ganz eigene Umformung der Wirklichkeit auf der steten Suche nach dem besonderen Einzelbild, das dann mit anderen Einzelbildern thematisch zusammengeführt wird, übte anfänglich einen großen Reiz aus. Wir waren auf der Suche nach Zeitgenossenschaft und besonderen Bildern. Zusehends bin ich aber immer wieder an Grenzen der Ausdrucksmöglichkeit gestoßen und habe mein Tun hinterfragt. Parallel dazu war ich an der Kunsthochschule für Medien in Köln mit Konzepten und Ideologien konfrontiert, die abbildende Fotografie als unkünstlerisch ablehnten. Ich war irritiert, aber zusehends auch motiviert, diese beiden fotografischen Lager zu erkunden und zu verbinden. Ich begann, grenzüberschreitend zu experimentieren! Mein Thema wurde Naturwahrnehmung und deren Umsetzung ins mediale Bild. Dabei war ich stets auf der Suche nach Strategien und Möglichkeiten, um meine komplexen Gedanken, Gefühle und Konzepte bildnerisch umzusetzen. Und spätestens da musste ich die erlernte Einzelbildstrategie verlassen. Und deshalb interessiert mich auch Flickr nicht, weil es mir als eine Ansammlung von Fototrophäen erscheint, deren Mehrwert sich mir nicht offenbart.
Als Bildforscher, der seit vielen Jahren alle Arten fotografischer Bilder sammelt, bin ich aber trotzdem an die Referenz des guten bzw. wirkungsvollen Bildes gebunden. Wenn ich eine Kiste mit alten Fotografien durchschaue, braucht es Kriterien, um sich für und gegen den Kauf von bestimmten Bildern zu entscheiden. Und da Du nach einer Theorie fragst, die mein Tun erhellen kann, so will ich Roland Barthes Theorie des Studiums und Punctums ins Spiel bringen. In seinem Buch „Die helle Kammer“ versucht er, besagtes „Wesen“ der Fotografie sprachlich zu fassen und umkreist es dabei beständig. Das ist nämlich ein wichtiger Punkt: Es gibt keine umfassende Theorie zur Fotografie. Sie ist nicht zu fassen. Um zu ihrem Wesen vorzudringen, umkreise ich sie beständig und arbeite mit Fotografie über Fotografie. So wie Roland Barthes dies mit sprachlichen Mitteln getan hat.



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Wenn ich Dich richtig verstehe, ist die Basis für Deine Bildforschung ein aussagekräftiges Einzelbild. Über die Fotografie als Einzelbild gibt es mittlerweile umfangreiche Theorien. Der von Dir erwähnte Roland Barthes muss ja in einem Atemzug mit Walter Benjamin, Siegfried Kracauer und andere genannt werden, und für die Neuzeit Susan Sontag, Allan Sekula, John Berger. Das kann man gut nachlesen, zum Beispiel in der Monografie von Jörn Glasenapp „die deutsche Nachkriegsfotografie“ (Finck Verlag, 2008). Auch die neu sich etablierende interdisziplinäre "Bildwissenschaft" beschäftigt sich nur mit dem Einzelbild und dessen Rhetorik. („Wie funktioniert ein Bild?“ – Link; u. a. Bredekamp).
Dich treibt aber in erster Linie die Frage um, wie "arbeiten" Bilder miteinander. Lege ich nur zwei Einzelbilder nebeneinander, verändern sich deren Inhalte und deren Bezüge. Bei großen Bildkonvoluten in der Mappe, an der Wand, als Buch, in der Slideshow oder Fotofilm potenzieren sich diese Möglichkeiten. Wie ist dieses Phänomen zu erklären? Und was meinst Du zu den theoretischen Ansätzen?



Elmar Mauch
Also, Roland Barthes und seine Art der Beschreibung von Bildern habe ich schon bewusst und bevorzugt genannt. Ich würde die von dir genannten Theoretiker auch nicht in einem Atemzug nennen wollen, da jeder von ihnen, und diese Liste der Personen ließe sich noch erweitern, etwas Bemerkenswertes zur Theorie der Fotografie beigetragen hat; aber jeder dieser Aspekte und Argumente verlangt eine spezifische Betrachtung. Zumal Du auch Alan Sekula nennst, der dem Bild, das ohne Text auftritt, keine Kraft zubilligt. Da liegen Welten zwischen Barthes und Sekula; Barthes taucht in die Magie des fotografischen Bildes ein, Sekula sieht das Bild als Oberfläche und reine Projektionsfläche, dem nichts inne ist. Ich glaube aber daran, dass Fotografien einen magischen Anteil haben können, den es aber oft auch erst herauszuarbeiten gilt. Wenn ich deinem Literaturtipp etwas ergänzend hinzufügen möchte, dann ist es die „Theorie der Fotografie“ von Peter Geimer, der darin die verschiedenen Aspekte und Zugänge zu unterschiedlichen Fototheorien sehr anschaulich und überzeugend herausarbeitet.
Bei der sich neu etablierenden Bildwissenschaft bin ich noch zu keiner abschließenden Erkenntnis gekommen. Deren Ansätze finde ich spannend und wichtig, jedoch wird da von Interdisziplinarität gesprochen, deren Grenzen ich gerade auszuloten versuche. Mit einem dieser Bildwissenschaftler stehe ich gerade im Austausch und versuche eine Zusammenarbeit über das gemeinsame Thema Bild zu forcieren. Und meinen Einwand, dass Bildforschung nicht beim Einzelbild stehen bleiben darf, hat er bejaht. Es besteht zumindest auf beiden Seiten Offenheit und Interesse an einem Austausch. Mal sehen, wo da die Grenzen und Möglichkeiten sind und ob man eine gemeinsame Sprache und eine konstruktive Zusammenarbeit findet.



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Wie lässt sich das „neue“ an der Bildwissenschaft für die Fotografie erklären?



Elmar Mauch
Bildwissenschaft ist ein fächerübergreifendes Forschungsgebiet, bei dem sich die unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen mit dem Phänomen Bild, seinen Ausprägungen und Wirkungen in theoretischer Form beschäftigen. Die gestalterisch/künstlerische Bildpraxis ist im Moment eher ein Randbereich, da schwer fassbar. Traditionell wird bei der kunsthistorischen Deutung von Bildern stets mit Umschreibungen agiert. Es werden theoretische Geflechte konstruiert und die Bilder im Kontext anderer Bilder beschrieben und bewertet. Aber genau hier gibt es eine Bruchstelle, denn Bilder und deren Wirkungen erfassen unser Innerstes, sie lösen Gefühle und Erinnerungen aus. Und dieses Wahrnehmen ist, meiner Meinung nach, näher an der Psychologie und ihren Unwägbarkeiten und Abgründen, als an einem rationalen Vorgang, der theoretisch klar beschreibbar wäre. Bildpraktiker werden verstehen, wovon ich spreche. Das erklärt auch die Irritation bzw. die Abwehr dieser bildpraktischen Seite durch die Theoretiker. Denn Theorien zu eindimensionalen Bildern wie Infografiken u.ä. sind möglich und auch anwendbar. Was mache ich aber mit komplexen, mehrdimensionalen Bildnissen und Bildstrecken?
Das Sprechen und das Austauschen über Bilder ist eine wichtige Grundvoraussetzung um deren Wirkungen und Absichten erkennen zu können. Texte und Theorien von Bildwissenschaftlern und Philosophen erleuchten mir da manches Phänomen. Auf einer niedrigschwelligen Ebene sind wir ja täglich mit medialen Bildern konfrontiert und durch diese Prozesse einigermaßen geübt als auch abgestumpft. Mir geht es aber um eine komplexere, tiefergehende und bewusste Auseinandersetzung mit Bildern. Den Umgang und das Verstehen von Bildern kann man üben, jedoch verlangt es Empathie und ist ein langer, nie abgeschlossener Prozess. Das macht Reiz und Problematik aus. Mir scheint es wichtig, genau diese Lücke zwischen den Disziplinen zu überwinden und Einflüsse und Gedanken aus anderen Bereichen an sich heran zu lassen. Denn auch ich will begreifen, was und wieso Bilder auf ihre ganz eigene Art Wirkung entfalten, die ich mit Worten nicht beschreiben kann. Deshalb arbeite ich mit Bildern über Bildern.



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Es scheint doch in Vielem eine Terra incognita zu sein. Kehren wir also zurück zu Deinem konkreten Anliegen, Bilder über das Einzelbild hinaus zu untersuchen.



Elmar Mauch
Was mich umtreibt, ist das Eintauchen in Bilder und ihre Wirklichkeiten. Da verlasse ich die klassische abbildende Fotografie. Diese verfolgt den Zweck, ein Bild der Wirklichkeit wiederzugeben. Die Wirklichkeit erscheint mir aber vielschichtig. Auf diese unterschiedlichen Wirklichkeiten muss ich mich einlassen, um zu einer eigenen Position, zu einem eigenen Denken zu kommen. Es gibt da aber ein Paradoxon. An ihrer Oberfläche erscheint mir die Welt viel komplexer als noch vor 30 Jahren, wenn ich jedoch zu den Grundwirklichkeiten des Lebens komme, dann staune ich darüber, dass da keine Verschiebungen stattgefunden haben. Das erlebe ich immer wieder, wenn ich die Essays von Montaigne lese oder Texte von Seneca. Deren lebensphilosophische Erkenntnisse haben nichts von ihrer Aktualität verloren, auch wenn sie vor vielen hundert Jahren verfasst wurden.
Und wenn ich nun mit bildnerischen Mitteln künstlerische Fragenstellungen zu den Grundbedingungen des Lebens stellen möchte, so werde ich das mit dem reinen Abbilden des Sichtbaren nicht bewerkstelligen können. Hier sind wir an einer Grenze des Fotografischen angekommen. Beim Versuch, diese Grenze zu überwinden, habe ich Mitte der 90er Jahre mit meinen Wahrnehmungsuntersuchungen begonnen. Es ging mir darum, mich aus diesem bildnerischen Dilemma zu befreien und gangbare Methoden zu finden, meinem Sehen und Denken Ausdruck zu geben. Erste Ansätze waren Diptychen, bei denen zwei ähnliche Bilder ein Gesamtes ergeben. Daraus haben sich dann erste analoge Montagen entwickelt. Bei diesen Landschaftskonstruktionen habe ich fotografische Sequenzen des gleichen Landschaftsausschnittes in ein Bild verdichtet. Aus meiner Erfahrung der Beschränktheit von Einzelbildern habe ich seither verschiedenste bildnerische Methoden erkundet und immer wieder versucht, unter die Oberfläche der Bilder zu tauchen. Im Moment beschäftige ich mich mit bildpoetischen Prozessen und will mehr über den psychologischen Anteil am Prozess der Bildwahrnehmung herausfinden.



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Verstehe ich Dich richtig, dass das fotografische Einzelbild nur eine sehr begrenzte Form der medialen Möglichkeiten nutzt und naiv eine „Realität“ vorgaukelt, die nicht ansatzweise so vorhanden ist. Zu schlussfolgern wäre, dass eine Fotografie, die sich ausschließlich auf das handelbare Einzelbild (Print) fokussiert, sich als künstlerische Strategie auf einer sich selbst abschaffenden Einbahnstraße befindet. Nun basieren die großen Erfolge der Fotografie der 80er und 90er Jahre aber gerade auf dieser einseitigen Ausrichtung auf das Einzelfoto im Gemäldeformat, die viel zitierten Becherschüler zum Beispiel.



Elmar Mauch
Meine Zwiespältigkeit gegenüber der klassischen abbildenden Fotografie habe ich ja schon formuliert. Ihre Anhänger agieren mir zu oft mit einem überkommenen Realitätsbegriff. Sicher, es ist eine Besonderheit und Faszination der Fotografie, dass sie Abbilder schafft, die eine direkte Verbindung zur sichtbaren Wirklichkeit aufweisen. Welchen Anteil diese sichtbare Wirklichkeit an dem hat, was wir Realität nennen, ist jedoch strittig. Schon Brecht bestritt, dass eine einfache Wiedergabe der Realität etwas über die Realität aussagt. Und immer mal wieder sehe ich in meinem Bücherregal den Buchtitel „Als guter Realist muss ich alles erfinden“ und beginne stets zu schmunzeln.
Zum zweiten Teil deiner Frage: Künstlerische Strategien in Bezug auf den Markt interessieren mich nur am Rande. Das Einzelbild besitzt vor allem eine Wichtigkeit als visueller Übermittler einfacher Sachverhalte und Repräsentationen. Und da es die einfachste und günstigste Form handelbarer Ware darstellt, werden Einzelfotos im Kunstmarkt sicherlich präsent bleiben. Ob sie jedoch für künstlerische Innovation stehen, steht auf einem anderen Blatt und muss im Einzelnen bewertet werden. Bei aller Kritik sollte aber nicht unterschlagen werden, dass die sogenannte Becherschule der Fotografie im Kunstmarkt eine Position erarbeitet hat, die es so vorher noch nicht gab. Inzwischen ist aber zu sehen, dass deren Exegeten sich nur noch selbst reproduzieren oder ihr einmal vorhandenes Innovationspotential längst ausgereizt haben.



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Aber noch einmal zurück auf die Filmmontagetheorie eines Kuleschow. Wenn ich Dich richtig verstehe, spielt der berühmte Kuleschow-Effekt in dem Medium Fotobuch eine große Rolle. Für den Kuleschow-Effekt gibt es ein berühmtes Beispiel von Alfred Hitchcock im Film „Das Fenster zum Hof“, in dem er dieselbe Einstellung von James Stuart mit einer Sequenz einer halb nackten Frau und einem toten Hund kombinierte. Einmal wird der Gesichtsausdruck von James Stuart vom Zuschauer als lüstern interpretiert, das andere Mal als erschrocken. Diese Montage von Filmsequenzen funktioniert aber nur, weil bewegte Bilder verwendet werden und der Zuschauer im Sog der Filmerzählung assoziativ wahrnimmt.
Wie können diese Erkenntnisse auf die Praxis des Mediums Foto und das Fotobuch übertragen werden?



Elmar Mauch
Ein schönes Beispiel. Aber auch bei fotografischen Arbeiten im Buch kann es zu diesem assoziativen Wahrnehmen kommen. Natürlich in einem anderen Tempo, aber Bilder im Buch können so montiert werden, dass Betrachter in einen Gedankenfluss geraten, dass es zwischen dem Sehen der Bilder und dem Verknüpfen dieser Wahrnehmung mit eigenen Bildern und Gedanken zu einer Interaktion kommt. Dies ist etwas, was ich kürzlich beim Fotobuchfestival in Kassel nur sehr selten sehen konnte. Ein Beispiel gab es aber, und zwar das Buch „Algerien“ von Dirk Alvermann, dessen Seitenabfolgen parallel zu einem Interview mit ihm gezeigt wurden. Bezeichnenderweise war er auch als Filmemacher tätig und hatte sich mit den Montagetheorien von Sergej Eisenstein auseinandergesetzt.


Links:
Bild-Blog Dirk Alvermann "Algerien": www.fotokritik.de/imgblog_28.html
"Dirk Alvermann - Eine erste Annährung", Artikel von Thomas Wiegand in fotokritik 2008: www.fotokritik.de/artikel_40_1.html,



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In den Literaturwissenschaften ist der Begriff der Immersion entwickelt worden. Die Immersion als Phänomen wird in etwa so beschrieben: „Schwarze Zeichen auf weißem Papier, unterschiedlich in Größe, Form und Anordnung - doch das lesende Gehirn erschafft in Sekundenbruchteilen ein Universum an Bedeutungen. Eine künstliche Welt aus Tintenklecksen vermag den Leser eines Buches so sehr zu verzaubern, dass er sich mit dem Schicksal fiktiver Figuren identifizieren, über sie lachen oder weinen kann.“
Dieses Phänomen der Immersion lässt sich auch im Gehirn als eine speziell erlernbare Technik nachweisen. Interessant wäre natürlich die Frage, ob ein entsprechendes Phänomen wie die Immersion auch beim Betrachten von Fotobüchern oder Bilderserien entsteht. Das Vokabular würden die Bilder sein, die der Leser/Betrachter zu einer eigenen Geschichte zusammenfügt. Es entstünde ein narrativer roter Faden beim Blättern, der eine eigene, neue Erlebniswelt eröffnet.
Ist es das, was Du beschreiben und erklären willst?



Elmar Mauch
Neben der Literaturwissenschaft wird der Begriff der Immersion auch im Zusammenhang mit Film und virtueller Realität benutzt. Als Immersion wird der Bewusstseinszustand beschrieben, der durch die Selbstvergessenheit und das Gefesseltsein beim Eintauchen in künstliche Welten beim Computerspiel erreicht wird. Beim Film bezeichnet es das gedankliche Abtauchen, das Sich-selbst-vergessen, sowie das Identifizieren mit Filmpersonen bei der Betrachtung eines Filmes.
Aber auch bei der Betrachtung von Kunst wird schon lange über die Einbeziehung des Betrachters in das Kunstwerk theoretisiert. Ein gutes Kunstwerk erlebe ich dann, wenn es mich auf unterschiedlichen Ebenen erfasst und packt. Dieser zutiefst erregende Augenblick wenn ein stummes Gegenüber in Bildform mich emotional und intellektuell packt, mich verunsichert, bestärkt und gleichzeitig verschiedene Fragen aufwirft. Das ist es, was ich auch mit meinen Arbeiten zu erreichen versuche. Beim Fotobuch ist dieses Moment nur durch eine intelligente Konstruktion zu erreichen. Und ist es nicht so, dass, egal in welchem Medium ich Geschichten erzählen will, es immer wieder um die aktive Einbeziehung des Betrachters und um das Erzeugen des „Kinos im Kopf“ geht? Dann fragt es sich eben, welche Mittel stehen mir zur Verfügung, und wie kann ich sie einsetzen? Im Unterschied zum Film und Computerspiel fehlen dem Buch Ton und animierte Bewegung. Es hat aber eine eigene Spezifik, die Bewegung und Wahrnehmungsgeschwindigkeit legt der Betrachter fest. Durch Vor- und Zurückblättern, durch Innehalten und Verweilen wird eine besondere Form des assoziativen Sehens und Denkens ermöglicht. Dazu bringen Text und Zwischentitel neue Kontexte und Anknüpfungspunkte ein.



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Bedeutete das, ein Fotobuch könnte ebenso populär sein, wie ein Roman, ein Film oder ein Computerspiel?



Elmar Mauch
Diese Frage stellt sich mir überhaupt nicht. Da sehe ich Äpfel mit Birnen verglichen. Popularität in Verbindung mit Fotobuch endet bei den sogenannten Coffeetablebooks.



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Beim Film gibt es zahlreiche Untersuchungen über das Filmschneiden, die filmische Erzählung und die Filmsprache. Soweit ich weiß, existieren über die Bildfolgewahrnehmung in der Fotografie keine Publikationen. Wie vermittelst Du dieses Phänomen zum Beispiel im Lehrbereich?



Elmar Mauch
Das geschieht vor allem über die aktive Auseinandersetzung mit Bildern, Bildstrecken und Bildkonzepten, bei denen Absichten der Autoren mit tatsächlichen Wahrnehmungsergebnissen abgeglichen werden. Auch wichtig ist die Auseinandersetzung mit bestehenden Bildwelten. So habe ich während meiner Zeit als Dozent an der Züricher Hochschule der Künste, als Teil der Auseinandersetzung über Bildabfolgen, mit einer studentischen Gruppe die Altäre, Bilder und mittelalterlichen Tableaus im Schweizerischen Landesmuseum erkundet. Immer wieder mit der Frage „Wie haben diese frühen Bildproduzenten das gemacht? Welche Mittel und Erzählweisen hatten sie zur Verfügung? Wie haben sie diese eingesetzt und welche Absichten wurden damit verfolgt?“



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Sollten sich nicht aber Fotografen vordringlich mit der Fotogeschichte auseinandersetzen?



Elmar Mauch
Nach meiner Überzeugung reicht es heute nicht mehr aus, nur den geschichtlichen Hintergrund der Fotografie zu kennen. Medien- und Kunsttheorie wurden während meiner Zeit in Zürich von allen Kolleginnen und Kollegen in den Diskurs über Fotografie integriert. Mir lag vor allem am Herzen, wahrnehmungspsychologische Fragestellungen in meine Semesterthemen zu integrieren.
Bei meinem Kurs „Ich will denken – Experimente mit Sequenzen und Montagen“, war eine der Übungen das Bildstreckenfinden in Kleingruppen. Dazu hatte ich Bücher, die von ihren Abfolgen bestimmt sind, in Einzelseiten zerlegt. Dabei konnte jeder ausprobieren, was er oder sie als Editor in Abfolge gebracht hätte. Jede Abfolge musste dann aber vor der Gruppe begründet werden. Bei diesen Diskursen über den Einsatz von Bildern lernt und übt man Gespür für Zusammenhänge, Wirkungen und Abfolgen; die Studierenden erlangen Bildkompetenz.
Das Studieren verschiedener Bildwelten halte ich für eminent wichtig bei jeder medialen Ausbildung. Denn dieses Entdecken, Erkunden und Hinterfragen von Bildern bildet die Grundlage für die Ausbildung eigener Kriterien. Meine zentrale Frage an praktische Arbeiten der Studierenden war immer wieder „Was willst Du sichtbar machen?“. Um Geplantes auch für Dritte befriedigend umsetzen zu können, müssen meiner Meinung nach mediale Grundfragen geklärt sein.



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Ich bin Deinen Hinweisen auf die Montagetechnik in aktuellen und historischen Fotobüchern nachgegangen und war doch sehr erstaunt, wie einfach sich gute Beispiele finden lassen. Hier Doppelseiten z. B. aus: The Photobook: A History Volume 1., Martin Parr, Gerry Badger.


Link Bild-Blog: www.fotokritik.de/imgblog_27.html


Nr. 1. Eine Doppelseite aus Nobuyoshi Araki „Sentimental Journey" – 1971, dem Buch über das Sterben seiner Frau, zeigt die Protagonistin zweimal in identischer Position auf einem Weg mit nacktem Oberkörper stehend, auf der linken Seite die Einstellung „Halbtotale“ und auf der rechten Seite „Nah“.
Nr. 2. Hier ein frühes Beispiel von Blaise Cendrars und Robert Doisneau mit „ la Banlieue de Paris" – 1949; es wurden zwei hochformatige Bilder, Straßenansichten mit einem Passantenpaar, so aneinander montiert, dass ein Bild mit räumlicher Tiefe entsteht. Witzig, auf dem linken Bild ist Sommer, rechts Winter mit Schnee, sodass ein surreales, etwas traumhaftes Tableau entstanden ist.
Nr. 3. Klassisch für die russischen Propagandabücher S B Reyzin ed. Pervaya Konnaya – (First Cavalry) 1937, mit einem Panorama als ausklappbare Seite, wobei die Porträts links und rechts in die Mitte schauen und sozusagen die Kavallerie mythisch erhöhen.


Nr. 4. Als weiteres Beispiel für linke Propagandabücher eine Doppelseite aus Gerhard Puhlmann „Die Stalinallee", Nationales Aufbauprogramm – 1952. Die Aufnahme des euphorisch Silvester feiernden Arbeiters geht direkt in das Feuerwerk auf der rechten Bildseite über.


Nr. 5. Konsequent rhythmische Montagen, die an die modernen Schnitttechniken der Musikvideoclips erinnern, finden sich in Ed van der Elsken „Jazz" – 1959, hier die Doppelseite mit Musikern in Ekstase.


Nr. 6. Ein Beispiel für die frühe, moderne Schnappschussästhetik: „Pari (Paris)" - 1974, des bei uns unbekannten japanischen Fotografen Ihei Kimura, in dem auch die Farbe als Element der Montage eingesetzt wird.


Nr. 7. Christian Boltanskis Künstlerbuch „Menschlich" 1994 nimmt sich die Freiheit heraus, auf der rechten Bildseite ein Querformat als Hochformat zu nutzen, um so die Beunruhigung und das freie Arbeiten mit vorgefundenem Material zu betonen.


Nr. 8. Abschließend ein Buch aus der aktuellen Fotografieszene, „Tokyo Compression" von Michael Wolf aus dem Jahre 2010. Deutlich erkennbar die Korrespondenz der Haltung der Hände, wobei die Nahaufnahme auf der linken Seite platziert wurde und rechts das Porträt. Dieses „Zurückfahren“ des Blickes reduziert die Dramatik und betont das Dokumentarische.


Sind das Beispiele in Deinem Sinne? Könntest Du sie noch erläutern und ergänzen?



Elmar Mauch
Nun also zu den Doppelseiten. Deine Beispiele sind so interessant wie unterschiedlich. Bei Nummer 2 ist vieles von dem enthalten, von dem ich spreche. Dort agieren beide Bildteile miteinander. Sie behaupten ein Gebäude und eine Szenerie. Auch wenn ich erkenne, dass es sich um zwei Jahreszeiten und eine Bildkonstruktion handelt, wirkt die Poesie und Behauptung weiter. Super!
Es gibt, außer Deinen Beispielen, noch manche gelungene Doppelseite in Büchern zu finden. Gute Doppelseiten sind natürlich wichtige Grundlage, sie lösen aber nicht die Problematik der gelingenden Kommunikation im Buch. In sich stimmige Doppelseiten mögen optisch ansprechend sein, wenn ihnen aber ein innerer Zusammenhang zu den anderen Bildern des Buches fehlt, sind sie ästhetische Oberflächenreize ohne inhaltliche Funktion. Gelingende Kommunikation mit visuell gut gestalteten Büchern bedeutet aber für mich, dass diese Bücher mich gedanklich und emotional durch ihre Seitenabfolgen ziehen, meine visuellen Interessen befriedigen und in mir Fragen zu Bild und Darstellung, zu Erinnerung und Leben wachrufen. Solche Bücher versuche ich selber zu machen. Aber dazu bedarf es vieler überzeugenden Doppelseiten, die untereinander durch gedankliche Bande verbunden sein müssen. Die Trauben hängen hoch!
Ein Beispiel, das verdeutlicht, wovon ich spreche:
Link www.elmarmauch.de/bildf/bildf.html



fotokritik
Dirk Alvermann hat nach „Algerien“ in seinen weiteren Büchern die Montagetechnik nicht mehr angewandt. Warum ist diese Bildmontage keine anerkannte Fotobucherzähltechnik geworden?



Elmar Mauch
Bei der Veranstaltung in Kassel habe ich Dirk Alvermann die Frage gestellt, weshalb er mit dieser Art der Bildmontage aufgehört habe. Er wusste aber darauf keine für mich schlüssige Antwort. Er habe danach Anderes auf andere Weise gemacht und sich verstärkt dem Film zugewandt. Wenn ich da nun für mich eine Antwort darauf finden sollte, so kommt mir in den Sinn, dass man sich mit dieser Art des Umgangs mit den Bildern genau zwischen den Medien Fotografie und Film bewegt. Wie beim Film montiert man und bringt Bilder in Konfrontation zueinander, um neue Gedanken und Gefühle auszulösen. In Kassel war übrigens auch noch das kleinformatige Buch »Quatorze Juillet« von Johan van der Keuken, einem Filmemacher und Fotografen aus den Niederlanden, zu sehen. Dieser 2001 verstorbene Altmeister verfolgt auf eine zarte, aber unspektakuläre Art und Weise die Szenerie einer Annäherung. Und das bringt mich auf den Gedanken, dass es vor allem die Grenzgänger zwischen diesen Medien sind, die dieses Feld befruchten.


Links:
www.vodpod.com, dort: idea-books,isbn-9789072532091
de.wikipedia.org/wiki/Johan_van_der_Keuken


Weshalb Bildmontageverfahren nicht zum Fotografenkanon gehören, hängt meiner Meinung damit zusammen, dass der Blick des Fotografen und das daraus entstandene Foto nach wie vor als Beweismittel für das Gesehene fungieren. Dieser Fotografenmythos des „so gesehen“ fand seinen Höhepunkt bei Cartier-Bresson. Noch Ende der 80er Jahre und Anfang der 90er Jahre vergrößerten manche Fotografen den Rand um ihr Negativ mit, um zu beweisen, dass das Foto wirklich so fotografiert wurde. Dieser Mythos der Glaubwürdigkeit führte auch dazu, dass Fotos auf keinen Fall angeschnitten werden durften. Der ungezwungene, rücksichtslose Umgang mit dem Bild war immer etwas, was Grafiker betrieben haben. In vordigitalen Zeiten haben sich die Fotografen immer an diesen „bösen“ Grafikern abgearbeitet, die ihren Bildern in Tages- und Wochenzeitungen Gewalt angetan haben, Ausschnitte daraus genommen haben, und das nur, um eine von ihnen gewünschte Bildwirkung zu forcieren. Die Fotografen ärgerten sich darüber, dass ihr spezifischer Blick übergangen wurde, dass das Bild als Beweis ihrer Autorentätigkeit zerstört oder verfälscht wurde. Dieser Konflikt hatte ja auch zur Folge, dass jemand wie André Gelpke bewusst so fotografiert hat, dass seine Bilder mehrdeutig wurden, um diesem Zugriff der Grafiker mehr Widerstand entgegenzusetzen. Dieses Bewahren des autonomen Bildes bzw. des besonderen Augenblickes scheint mir immer noch präsent zu sein, auch wenn ein Überspringen dieser Grenze der Dramaturgie und Wirkung manchen Fotobuches gut täte.


fotokritik
Wie sieht das aktuell mit der digitalen Fotografie aus?



Elmar Mauch
Durch die digitale Entwicklung sind wir nun an einem anderen Punkt angelangt. Die großen Bildstrecken in den Magazinen gibt es nicht mehr. Der gesamte publizistische Bereich mit Fotografie hat sich radikal verändert. Inzwischen ist es sogar so, dass die Fotografen alle Mittel in der eigenen Hand haben. Jetzt wäre vieles möglich. Aber dazu bedarf es, wie ich schon beschrieben habe, einer Entwicklung der Standpunkte der Fotografen. Bei meinen Lehrtätigkeiten wurde mir irgendwann klar, dass eine Entwicklung der medial arbeitenden Studierenden ab einem gewissen Punkt mit einer Diskursfähigkeit und Persönlichkeitsentwicklung einhergehen muss. Und daran habe ich dann auf unterschiedlichen Ebenen gearbeitet. Es ging immer um das Schauen über den Tellerrand hinaus; um eine Auseinandersetzung mit Theorie, Philosophie und dem Schaffen in angrenzenden Bildmedien und Künsten.



fotokritik
Reicht für die Erklärung ein Fotografen-Bashing aus? Sicherlich ist es richtig, dass die Entfesselung der Fotografie von den technischen Grenzen der analogen Fotografie aufdeckte, dass die traditionelle Fotografenausbildung einseitig auf ästhetisch überwältigende Bilder fokussiert war. Die analoge Fotografie setzte diesem Begehren jedoch nur technische Widerstände entgegen, sodass trotz aller Kunstfertigkeit den Bildern die Faszination des Authentischen nicht ausgetrieben werden konnte. Für das Fotobuch gilt ja nichts anderes: Ohne Verlag, Verleger und Teamarbeit gab es kein Fotobuch, die Teamarbeit bremste den falschen Ehrgeiz der Fotografen aus, über die Bildauswahl ihre fotografischen Fertigkeiten in den Vordergrund zu stellen.
Die Frage wäre nur, fehlt es an Fotobuch-Vorbildern, Beispielen aus der Vergangenheit? Was für ein Bewusstsein muss der Fotograf und – vice versa - auch der Leser haben, um nicht jedes Bild im Fotobuch als Einzelbild zu interpretieren?



Elmar Mauch
Ich kann kein Fotografen-Bashing erkennen. Aus meiner Position als Bildforscher und Künstler sehe ich es als meine Aufgabe an, dieses Medium, seine Akteure und Ausprägungen zu beschreiben und kritisch zu begleiten.
Ich bin der Meinung, dass dieses wo und wann ein Bild fotografiert worden ist, in einem Buch auch eine untergeordnete Rolle spielen kann. Als Anschauungsmaterial soll hier mein Bilderheft „the round and the square“ dienen: www.elmarmauch.de/buecher/buecher.html
Vorher hattest du den Begriff der Immersion ins Feld geführt. Der Prozess der Immersion kommt dann in Gang, wenn ich eben nicht mit Fakten beschäftigt bin, wenn ich in der Lage bin loszulassen und bereit bin, mich in den Betrachtungsgegenstand zu versenken. Deshalb plädiere ich auch immer wieder für einen experimentelleren Umgang mit den fotografischen Bildern. Denn nach meiner Überzeugung kann ich nur so zu neuen Erfahrungen und neuen Erkenntnissen gelangen.



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Zu dem Thema Bildfolgen und Fotobuch ist mir bei den Recherchen zum Gespräch noch aufgefallen, dass Bildmontagen bei Fotobüchern bis Ende der 60er Jahre üblich waren. Gemeint sind nicht die Bildcollagen, also das Zusammenfügen von Bildteilen zu einem einzelnen, neuen Bild, sondern Fotografien auf den Seiten aufeinanderstoßen zu lassen, sodass über die Doppelseite ein Tableau entsteht. Gut ist das bei den von mir oben genannten Büchern „ la Banlieue de Paris" von Blaise Cendrars und Robert Doisneau und „Jazz“ von Ed van Elsken zu sehen.
Den Höhe- und Endpunkt dieser expressiven Bilderbucherzähltechnik würde ich mit den Büchern von Wiliam Klein, z. B. „Tokyo“ (1961) datieren. Als Beginn von etwas Neuem steht z. B. „The Americans“ (1959) von Robert Frank. Ein deutlicher Bruch manifestiert sich hier: Bei Franks" The Americans“ steht auf einer Doppelseite nur ein Foto, Texte kommen nur als Vorwort vor. Dieses fast mehr an einem Katalog orientierte, puristische Konzept wird noch heute als Standard betrachtet. So eine Art „White Cube“. Ging damit in den sechziger Jahren eine „europäische Fotobuchtradition“ zu Ende und wurde sie durch die amerikanische künstlerische Dokumentarfotografie (New Topographics) abgelöst, bei der im Vordergrund der einzelne" Print " steht, der im Buch auch nur " pur, also auf weißem Untergrund, präsentiert wird.



Elmar Mauch
„The Americans“ von Robert Frank markiert durchaus den Beginn einer neuen Entwicklung. Den nachhaltigen Einfluss, den dieses Buch bis heute ausübt, ist dieser subjektive und ungeschönte Blick auf ein Land und seine Bewohner. Von der Anordnung der Bilder her gab es da aber schon Vorläufer. Als Beginn der Präsentation eines Bildes ohne Text auf einer Doppelseite gilt allgemein „American Photographs“ von Walker Evans. Dieses Buch ist 1938 erschienen. Auch in „Antlitz der Zeit“ von August Sander von 1929 steht das einzelne Portrait einer weißen Seite gegenüber, es gibt aber noch zusätzliche Bildunterschriften.
Die Normalität eines Fotobuches der 30er Jahre waren zwei Bilder auf der Doppelseite, oder Bilder umgeben von Texten. Die Fotografie stand stets im Dienste einer Sache. Deshalb bedeutete diese besondere Art der Präsentation der Fotografien im Buch eine Aufwertung für die Bilder bzw. für den Fotografen. Diese Präsenz und Fokussierung der Einzelbilder markierte also einen wichtiger Schritt für die Anerkennung des Mediums als eigenständiges Ausdrucksmittel. Diese Buchkonzeption, die einst wichtig zur Etablierung der Autorenfotografie war, ist längst zum Klassiker der „meine Bilder im Fotobuch“ - Präsentation geworden. Sobald ich aber den Bereich der Eigenpräsentation verlasse, hilft mir diese Buchkonzeption nicht weiter. Ideen und Emotionen brauchen andere Ausdrucksweisen.
An dieser Stelle möchte ich ein kleines Manifest formulieren: Durch die Montage von Bildern im Buch, durch das Schaffen von Konstellationen und Seitenabfolgen kann Spannung, aber auch gedanklicher Freiraum erzeugt werden. Dieser gibt den Betrachterinnen und Betrachtern die Möglichkeit, eigene (Bild)erfahrungen und Erinnerungen einzubringen. So besteht der Wahrnehmungsakt nicht in einem Zeigen von „So ist es“, sondern eher in der Konstruktion einer Realität, die durch einen empathischen Seh- und Denkakt des Betrachters zur Vollendung kommt.



fotokritik
Ist Manfred Heiting mit seinem Projekt »Autopsie. Deutschsprachige Fotobücher 1918 bis 1945« (in zwei Bänden), der Antipode mit seiner These, die einzigartige deutsche und europäische Fotobuchkultur der 20er und 30er Jahre sei durch die Nazizeit und Kriegsfolgen (Emigration, Tod vieler Verleger und Fotografen, Vernichtung von Büchern durch Bomben und Zensierung im Kalten Krieg) untergegangen? Es gelte sie zu heben? Findet da möglicherweise ein Kulturkampf statt? Also: Kunstmarktfotografie mit entsprechender Katalogproduktion versus Fotografie mit Fotobüchern als Kunst- und Kulturträger? Neo-Liberal- (Fotokunst-) Warenproduzenten gegen Fotobuchautoren mit zivilisatorischen Sinnstiftungsansprüchen wie ein Schriftsteller?
Denkbar ist natürlich auch, dass sich zwei Wege der Fotografie auftun. Einmal produziere man Fotos für die Wand und als Flachware für den Kunsthandel. Auf der anderen Seite Fotos für Buchprojekte, wobei die Fotografien Material sind und sich einer inhaltlichen Buch-Konzeption unterordnen.
Jüngst hat der Fotograf Joel Sternfeld, der für seine Porträts Amerikanischer Menschen bekannt ist, in einem Interview gesagt, er fühle sich (seine Bilder) am wohlsten in einem Buch, seine Bilder an der Wand würden ihn immer irritieren.
Auf der anderen Seite stehen die Becherschüler, deren künstlerischen Produktionen nur in Fotografien mit Gemäldequalitäten bestehen, - außer Katalogen gibt es nichts Gedrucktes.



Elmar Mauch
Manfred Heitig verfolgt da ein verdienstvolles Projekt. Natürlich ist da vieles verloren gegangen, ich bin aber an einem Blick nach vorne interessiert. Aus meiner Sicht sind die Traditionslinien von Dada und Expressionismus durch die Nationalsozialisten und den Zweiten Weltkrieg gekappt worden. Es galt ja den Nazis vor allem, Extreme als entartet zu verbieten und zu verfolgen. Die Künstler und Grafiker der 20er Jahre suchten, experimentierten und fanden viele intelligente und auch heute noch interessante Zugänge und Methoden im Umgang mit dem Bild. Da sind vor allem John Heartfield, Hannah Höch und das Umfeld des Neuen Sehens zu nennen. Und um mal ein Beispiel abseits von Parrs Fotobuchkanon zu nennen: Von Kurt Tucholsky und John Hearthfield ist 1929 „Deutschland, Deutschland über alles“ erschienen. Das ist ein politisches Bilderbuch von bissiger Schärfe in Bild und Wort, das uns auch heute noch was zu sagen hat.
Aber den von Dir vermuteten Kulturkampf kann ich wirklich nicht erkennen. Manche richten sich nach dem Markt. Manche träumen vom Markt. Und manche machen das, was sie selbst wollen.



fotokritik
Ein schöner Abschluss für diesen ersten Teil des Gesprächs. Als vorläufiges Resümee kann man sagen, dass das Phänomen der Bildfolgewahrnehmung in seiner gesamten Komplexität bisher noch nicht erforscht und beschrieben wurde. Je mehr Fragen man stellt, umso mehr Fragen stellen sich. Also noch viel Arbeit für Dein neu gegründetes Institut für künstlerische Bildforschung.


Elmar Mauch
Ja, das kann man so sagen. Also, weiter voran auf dem Weg der „Erkenntnis durch Montage“!



fotokritik


Vielen Dank für diesen Teil des Gesprächs.


Für fotokritik stellte die Fragen Thomas Leuner.


Im zweiten Teil des Gesprächs mit Elmar Mauch geht es um die Themen: Gefundene Bilder, Appropriation Art und Bildrevitalisierungsstrategien. Es wird im Laufe des Jahres 2012 veröffentlicht.


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29.12.2011


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Schlagworte: Dramaturgie der Bilder, Bildrhetorik, Bildfolgewahrnehmung, Bildwahrnehmung im Fotobuch