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Texte zur zeitgenössischen Fotografie und digitalen Bildkunst
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"Photography Is"

von Joachim Schmid


Unter dem Titel "Photography Is" kompilierte Mishka Henner 1700 Zitate in englischer Sprache, die mit "Photography is ..." beginnen. Das Buch mit dem so anspruchsvollen wie nichtssagenden Titel versammelt auf 130 Seiten, was Fotografie ist, und es ist da in mehr als anderthalb Jahrhunderten Nachdenken über Fotografie einiges an Behauptungen zusammengekommen. Das ist an sich nicht überraschend, überraschend ist eher, dass nie zuvor jemamd sich die Mühe machte, all den Sinn und Unsinn, der von prominenten und weniger prominenten Autoren im Lauf der Jahre mit definitorischem Ernst in die Welt gesetzt wurde, in extenso zusammenzutragen.


Die Menge und Vielfalt der Zitate spiegelt die Fotografie selbst wider, mal intelligent, mal blöd, mal einfach, mal kompliziert, ernst, lustig, poetisch, romantisch, banal – so vielfältig, unterschiedlich und widersprüchlich wie die Menschen, die sich ihrer bedienen. Bevor es Suchmaschinen gab, wäre solch ein Unterfangen zwar keineswegs unmöglich, aber doch deutlich schwieriger gewesen. Wir können annehmen, dass die Existenz und Omnipräsenz der Suchmaschine die Idee näher brachte. Im Zeitalter der Karteikarte wäre das ein Lebenswerk geworden, dessen Leser sich nicht ganz grundlos Gedanken über den Geisteszustand des Urhebers gemacht hätten.


"Photography Is" führt das Nachdenken über Fotografie ad absurdum. Das Buch ist eine fotokritische Miniatur, die zum Nachdenken über Fotografie so viel beiträgt wie es sie ironisch unterläuft. Recht eigentlich handelt es sich hier eher um ein Buch über die Eigenart der Suchmaschine – man könnte auch von mechanischer Stupidität sprechen – als um ein Buch über Fotografie. Ohne erkennbare Ordnung hintereinander weg lesen wir, was die Maschine anhäufte, und wenn die ausschließlich eines simplen grammatischen Merkmals wegen ausgewählten Sätze aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gelöst im Chor mit formal ähnlichen auftreten, fällt dem Leser häufig schwer, den großen Schritt, den die Erfindung der Suchmaschine für die Menschheit bedeutete, adäquat zu würdigen.
Literatur, Theorie, Geschichte, Journalismus, Werbung und Gesetz sind der Suchmaschine so egal wie Gebrauchsanweisungen und private Korrespondenz. Keine noch so abseitige oder banale Bemerkung entgeht dem Moloch Google, und so entsteht in der Akkumulation quasi als Kommentar des Kommentars eine neue Ebene des Geprächs über Fotografie. Denn die Suchmaschine bringt auch all jene Aspekte an die Oberfläche, die im etablierten Diskurs unberücksichtigt bleiben. Was Fotografie angeblich ist, haben mehr oder weniger kluge Leute mit bemerkenswertem Aufwand festzulegen versucht; dass sie daneben auch alles andere ist, offenbart die neue Technik, die ganz ähnlich wie die zum Thema gewordene alte unterschiedslos alles aufzeichnet, was ihr ins Blickfeld gerät.


Indem der Initator des Suchprozesses keinerlei Quellen angibt, sondern uns nichts als die nackten Resultate der maschinellen Selektion präsentiert, wirft er nebenbei die Frage auf, in welchem Maße das Zitat im akademischen Kontext üblicherweise als autoritäre Keule dient. Wenn wir nicht wissen, was von Benjamin, Barthes, Sontag oder weniger zitierten Autoren stammt, lesen wir anders als wenn das Etikett der Keule von weitem zu erkennen ist. Im angesammelten Wust der Banalität glauben wir gelegentlich, Bemerkenswertes und Intelligentes zu entdecken, aber ganz so sicher sind wir dann schon nicht mehr. Und ob es wirklich so sinnvoll ist, etwas in einem Satz auf den Punkt bringen zu wollen, ist dann plötzlich eine ganz naheliegende Frage. Ernüchtert müssen wir uns damit abfinden, dass als einzige wirklich zweifelsfreie Aussage bleibt: Fotografie ist.


"Photography Is" erschien als Print-on-Demand-Buch und ist im Blurb Bookstore zu beziehen (www.blurb.com/bookstore/detail/1181810). Eine zweite, erweiterte Ausgabe ist in Vorbereitung.



28.02.2010


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Schlagworte: Mishka Henner, Nachdenken über Fotografie, Moloch Google