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Blog zur zeitgenössischen Fotografie
und digitalen Bildkunst
 

 
von Thomas Leuner

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Berlin – Fotostadt. Das ist kein Scherz. Zwar arbeitet die Foto- und Werbeindustrie in Hamburg, Düsseldorf und München, aber das Foto-Leben findet in der Hauptstadt statt. Die einschlägigen Galerieführer machen das schonungslos deutlich, die schiere Anzahl und Bekanntheit der Fotogalerien und Institutionen in Berlin deklassiert andere Fotode-stinationen zur Provinz. Die kulturelle Dominanz Berlins hat eben auch die Fotografie erreicht. Für den Besucher ist das eine reizvolle Angelegenheit, besonders, wenn das neu organisierte Gallery-Weekend (2./3./4.Mai 2008) und die Berlin-Biennale dichte Eindrücke über den Stand der Fotografie zulassen und die Berliner Prekariats-Kultur den Geldbeutel schont.


Die Kontraste könnten nicht größer sein: Dort das Museum Hamburger Bahnhof mit den „Künstlerfotografen“ Tillmans, dem Ehepaar Blume und Größen der Dokumentarfotografie der 80er Jahre (Flick-Collection). Zwei S-Bahnstationen weiter der gemütliche Galerie-Kiez um die Augustraße, der noch immer in kreativer Bewegung ist. Wenn man in Berlin fotografisches Leben sucht, so ist es dort in Mitte zu finden. Dominierend die „Kunstwerke“, der Spielort der Berlin-Biennale, wie immer karg, auf junge und improvisierte Kunst eingeschworen. Eine völlig neue Szenerie bieten die Galerien um die Zimmer- und Kochstraße am Checkpoint Charlie. Hier gibt es repräsentative Altbauten aus der Gründerzeit für Kunsthändler mit eben solchen Verpflichtungen und VIP-Service, der Hauch des fehlenden Reichtums wird inszeniert.


Um das Ergebnis des Rundgangs vorwegzunehmen: Wirklich Neues gibt es vom Berliner Parkett nicht zu vermelden, Trends lassen sich aber deutlicher ausmachen. Was die Documenta 12 schon ahnen ließ, die Fotografie „fremdelt“ wieder mit der Kunst. Bevorzugt wird die Anwendung als Dokument oder als klassischer Fine-Print, die bekannten Künstlerfotografen werden gehalten, die Inszenierte Fotografie und die Fotokunst scheinen marginalisiert, Arbeiten mit dem Medium Fotografie bieten aber immer noch Raum für anregende Experimente. Überraschend ist die Dynamik des galerie- und buchorientierten Fotojournalismus. Hier ist Ehrgeiz am Werk, denn es gilt, ein Vakuum zu füllen. Der virtuell vernetzte Mensch hat ein Bedürfnis nach Nachrichten von draußen, der tägliche Einsatz vor dem Bildschirm-Fenster verlangt nach authentischen Bildern als Kompensation. Diesem Bedürfnis nach Spuren des Realen schien die künstlerische Fotografie in den 80er und 90er Jahren nachzukommen und erweckte große Hoffnungen. Die Erwartungen wurden aber schnell enttäuscht, als klar wurde, um welches Wesen es sich beim Fotografen handelt. Posing, Glamour, Retusche und Plagiat sind sein liebstes Handwerkszeug oder noch besser, flüchtig zu werden und sich dem Sog des Kunstmarkts mit „richtiger Kunst“ hinzugeben.


Schöne Beispiele für die letztgenannte Tendenz sind Wolfgangs Tillmans in seiner Präsentation „Lighter“ (dt. Anzünder) und Anna und Bernhard Johannes Blume mit „Reine Vernunft“ im Hamburger Bahnhof. Bei Tillmans setzt das Museum auf eine große Überblicks-Show von Mitte der 90er Jahre bis heute (Bilder Nr. 6-15). Unbestritten ist Tillmans der Chronist des Lebensgefühls der Generation der 90er Jahre, der illegalen Clubs, der Straßenmode, der weichen, tonigen Farbfotografie. Die Klassiker dabei sind „Tillmans“ 1993 und „Burg“ 1997. Danach folgten Installationen mit Drucken, Fotos als Papier und Sammlungs-konvolute, Strategien, die in der Turner-Prize-Installation des Jahres 2000 kumulierten (Bild Nr. 8 - Rekonstruktion). Das ist immer noch spannend. Danach begann aber die Tillmans-Wende. Die bisher genutzten bildnerischen Ideen des Experiments – Fotopapier als Stillleben, Fotografik, Ausschnitte von Publikationen usw. – wurden in den folgenden Jahren separiert, gestreckt und zu großformatigen Werk-gruppen aufgebläht, dies zeitgemäß mit Videoprojektionen ergänzt (Bilder Nr. 9-13). Das ist gerade mal grafisch dekorativ, hat mit Abstraktion nichts zu tun und der kritische Inhalt ist der Common Sense des aufgeklärten Bildungsbürgertums. Das fotografische Grundpotenzial zeigt sich immer noch in den „straight“ fotografierten Bildern (Bilder Nr. 6 und 7).


Sicherlich ist der Fall „Tillmans“ komplexer und lässt mehrere Diskussionsebenen zu. Er zeigt aber auch exemplarisch das Dilemma der aktuellen künstlerischen Fotografie. Ein Fotograf, der für den Kunstmarkt Künstler sein will, muss Bilder machen, die auch von jedem Laien als „Kunst“ erkannt werden: groß, abstrahierend, belehrend – also irgendwie „mehr“ als ein Foto. In diesen Sog hat sich Tillmans ziemlich kritiklos begeben.


Bei „Reiner Vernunft“ von Anna & Bernhard Johannes Blume liegt der Fall etwas anders. Wunderbar anarchisch der Biss und die Haptik der analogen Fotoarbeiten aus den 8oer Jahren (Bilder Nr. 4 und 5). Die neuen Werke nach 2003 unter dem Titel „De-Konstruktiv“ wirken leer. Sie wurden digital bearbeitet und gedruckt, sind also Arbeiten im neuen digitalen Workflow und diese Umsetzung ist weder inhaltlich noch sinnlich gelungen (Bilder Nr. 2 und 3).


Mit „Sichtbarwerden“ geht es im Hamburger Bahnhof im Anschluss an die Tillmans-Show in den Rieck-Hallen weiter. Der Titel bezieht sich auf fotografische „Werke“ aus der Friedrich Flick Collection, die, Stand Ende 80er Jahre, dokumentarische Fotografie von Künstlern und den bekannten Becher-Schülern zeigt. Selten wurde so wenig Leidenschaft mit so viel Geld vereint. Sogar der Witz von Fischli & Weiss geht in die Knie (Bild Nr. 14). Der weiträumige Parcour der Rieck-Hallen hat im Kellergeschoss die Dimension einer Tiefgarage, die für kleinformatige Fotografien ungeeignet ist. Schön: Sigmar Polkes fotografische Arbeiten und die vielen frühen Thomas Ruffs (1981) im Kleinformat (Bild Nr. 15 – im Hintergrund).


Bekannteste Anlaufstelle in Mitte ist die Galerie Kicken, nunmehr in erweiterter räumlicher Form. Mit Ryuji Miyamoto „Pinhole“ (Bild Nr. 19) ist dort das Dilemma der „Fotokunst“ zu besichtigen. Ryuji Miyamoto wurde durch seine Fotos von Ruinen im vom Erdbeben erschütterten Kobe bekannt. Er ist der klassische dokumentarische Stadtfotograf. Nun baut er ein Lochkammerahäuschen, legt sich rein und fotografiert das Drumherum (Nacht), er ist dabei als Schatten sichtbar. Das fotografische Ergebnis wird dann als Kreuz montiert. Weder knüpft das an zeitgenössische Installationskunst an, noch werden ernsthafte Versuche gemacht, spirituelle Inhalte umzusetzen. Die ganze Anordnung ist bis zum Überdruss bekannt. Der Lochkamera hat sich schon eine ganze Szene bemächtigt – pädagogisch besonders wertvoll. Und das „Kreuz“ ist schon an anderen Orten mit Peinlichkeiten gezeigt worden. Fotomuseum Berlin "www.fotokritik.de/artikel_9_18.html";.


Die 5. Berlin Biennale ist von der Kritik als sog. „Streberkunst“ gescholten worden. Nicht ganz zu unrecht. Die fotografischen Arbeiten waren an die Documenta 12 angelehnt – siehe fotokritik "www.fotokritik.de/artikel_26_1.html"; es bleibt es beim Foto als Dokument und klassischem S/W-Print.


Fast ein Déjà vue nur mit weniger Geld: David Maljkovics „Lost Memories from These Days“ (Bild Nr. 24). Im Kontext dann die mystisch angehauchten Nachtszenen im Park (Infrarotfilm + Blitz) von Kohei Yoshiyuki (1972-1977) (Bild Nr. 25). Als Beispiel für die Ergänzung zur Installation „Tigre in Gaiola“ von Giulia Piccitelli (Bild Nr. 23), ziemlich beliebig.


Viel zeitgenössischer kommt die Fotografie daher, wenn sie in die bildnerische und künstlerische Strategie eingebunden ist. Es wird noch mit neuen medialen Möglichkeiten experimentiert. In „Von Schafen und Wölfen“ von Deborah Sengl, Galerie Deschler (Bild Nr. 16) hat der Fotograf, Ingo Pertramer, eine eigene künstlerische Position, die sich nicht damit begnügt, die Installation nur abzubilden. Lois Renner mit „True Romance“, Galerie Kuckei + Kuckei (Bild Nr. 17) malt zitierend, das Endprodukt ist das fotografische Repro, digital nochmals bearbeitet, das klassische „Ekta“ wird Print-Vorlage. Durch die Weiterentwicklung der fotografischen Oberflächen (Druck und Papier) können zeichnerische/malerische Elemente enger mit der fotografischen Unterlage verwoben werden, es tritt eine Verschmelzung ein. Sebastiaan Bremer, „Still Life with Shark on the Bosporus“, Galerie Barbara Thumm (Bild Nr. 18).


Etwas irritierend klingt „Cicero – Galerie für Politische Fotografie“. Träger der Galerie ist die Zeitschrift „Cicero“ und mit „politisch“ ist hier nur der anspruchsvolle Fotojournalismus gemeint. Aber das ist die Plattform, auf der reüssiert werden soll. Martin Parr und Magnum-Fotografie haben das vorgemacht. Die Bilder werden in der Galerie verkauft und das Material als Fotobuch promotet. Daher sind der Steidl -Verlag und das Vorwort von Günter Grass optimale Bedingungen für „Die Romareise“ 2000-06 von Joakim Eskildsen. Das Ergebnis ist ein Gutmensch-Opus auf hohem Niveau. Die Roma sind nach Ländern geordnet (sic!) in einer Flut von Portrait- und Situationsszenarien. Da die Arbeit „Kraft und Würde“ der Roma darstellen soll – natürlich ohne Klischee –, legt sich ein rosaroter Schleier über das Bild-Epos, der das eindrucksvolle Talent Joakim Esklidsens verstellt. Die Ausstellung selbst lässt dies noch nicht einmal erahnen. Es bleibt nur noch Illustrationsfotografie und die schöne neue „Attac-Welt“. Wenn man solch eindrückliche Arbeiten wie „Gypsies" von Josef Kudelka (1975) kennt, ist Ratlosigkeit angesagt. Die traditionelle Bild= Bildungsfeindlichkeit des Pressewesens ist ja hinlänglich bekannt, scheint aber teilweise selbstzerstörerische Züge zu tragen.

Die neue gegründete „Pool Gallery“ zeigt einen weiteren Strang der aktuellen Fotografie-Vermittlung, das Grooven im Pop-Bereich mit und durch junge Künstler. So unterschiedlich die Ergebnisse, so bleibt der Charme der Findungszeit, Amy Stein mit „New American Faibles“ (Bild Nr. 20). Nun, man weiß vom legendären Projekt „Amerika“ in der Brunnenstraße, dass dies nur temporäre Zustände sind.


In der Szene rund um die Rudi-Dutschke-Straße hört die Spontanität auf, vielleicht passend zu den Alt-68er-Erinnerungsfeiern. In der Zimmerstraße bei Tolksdorf macht man mit Axel Hütte und „Fog & Fire“ nichts falsch und nichts richtig, ein Waldbrand (USA), verschwommen, in großen Formaten. Die Buchmann Galerie zeigt Joel Sternfeld mit „American Utopias“, nach dem gleichnamigen Buch (Bild Nr. 26), es ist die klassische amerikanische Alternativ-Welt, traurig, ländlich, inszeniert. Irgendwie der leicht bekiffte Blick auf das gute alte Amerika und damit auch ein äquivalenter Abschluss für das Bild-Surf-Paradies Berlin.



Bilder:


Museum Hamburger Bahnhof


Nr. 2 Anna + Bernhard Johannes Blume „De-Konstruktiv“ 2005-07, Druck CD Print
Nr. 3 Anna + Bernhard Johannes Blume „De-Konstruktiv“ 2005-07, Druck CD Print
Nr. 4 Anna + Bernhard Johannes Blume „ödipale Komplikation“ 1977/78
Nr. 5 Anna + Bernhard Johannes Blume „ödipale Komplikation“ 1977/78
Nr. 6 Wolfgang Tillmans „Window“ 1996
Nr. 7 „we summer“ 2004
Nr. 8 Turner-Prize-Installation
Nr. 9 „Ostgut Freischwimmer“ 2004
Nr. 10 Paper drop/Krish namurti 2006
Nr. 11 Paper drop (Roma) 2007
Nr. 12 u.a. „Urgency II“ 2006 und „Urgency XIV“ 2006
Nr. 13 Video „Farbwerke“ 2006
Nr. 14 Peter Fischli & David Weiss Airports (Tokio) + (Frankfurt) 1988/89
Nr. 15 „Sichtbarwerden“ Rieck-Hallen – u.a. Thomas Ruff „Interieurs 8C ff“ 1981


Um die Auguststraße


Nr. 16 Deborah Sengl, Fotograf Ingo Pertramer „Von Schafen und Wölfen“, Galerie Deschler
Nr. 17 Lois Renner, „True Romance“, Galerie Kuckei+Kuckei
Nr. 18 Sebastiaan Bremer, „Still Life with Shark on the Bosporus“, Galerie Barbara Thumm
Nr. 19 Ryuji Miyamoto „Pinhole“ 1999-2004, Galerie Kicken
Nr. 20 Amy Stein „New Americah Fables“ 2007, Pool Gallery
Nr. 21 + 22 Joakim Eskildsen, „Die Romareise“ 2000-06, Cicero – Galerie für Politische Fotografie


KW – Kunstwerke – 5. Berlin Biennale


Nr. 23 Giulia Piccitelli „Tigre in Gaiola“ 2002
Nr. 24 David Maljkovic „Lost Memories from These Days“, 2006/2008
Nr. 25 Kohei Yoshiyuki, aus der Serie „Park“ 1971-79 (2001)


Zimmerstraße/Rudi-Dutschke-Straße


Nr. 26 Joel Sternfeld, „The Geography of no place: American Utopias“, Galerie Buchmann



10.06.2008