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Texte zur zeitgenössischen Fotografie und digitalen Bildkunst
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Tränen der Rührung

von Thomas Leuner


Eine aktuelle Erinnerung


„Im Übrigen ist er einer der begabtesten jungen Maler in Deutschland.“ So der letzte Satz der Ohffschen Besprechung im Tagesspiegel vom 13. Dezember 1966. Objekt der Begierde: Gerhard Richter und seine Ausstellung in der Galerie Block am Kurfürstendamm. Tatsächlich, er hat geschrieben “einer der begabtesten“. Begabung? Fast ein Fremdwort. Heute würde das unter der Rubrik Shooting-Star laufen, die Galeriekoje ist schon ausverkauft. Und so deutlich, aber leicht nachkriegs-infernalisch, geht es weiter: „Nun möchte man gern wissen, was Georg Schmidt (Anm.: Kunstkritiker Basel) wohl zu den Bildern des Dresdners Gerhard Richter sagen würde, der am "sozialistischen Naturalismus" ostdeutscher Kunstakademien geschult, seit 1961 in Düsseldorf lebt und Bilder malt, die sich an dem naturalistischsten Bildgestaltungsmittel aller Zeiten orientieren: an der Photographie.“
Und damit sind wir beim Thema: das malerische Bild und die Bilderwelt der Fotografie. Es geht in zwei Kritiken von Heinz Ohff um die Erkundungen Richters mit der Fotografie. Schon 1964 schreibt Heinz Ohff lobend über die erste Ausstellung in den Kellerräumen der Frobenstrasse 18: „Dieser Realismus erinnert an den Realismus flimmernder Fernseh–Mattscheiben, an die irrelevante und rasch verblassende Wirklichkeit gestellter Erinnerungsphotos, an die schlechten Drucke eilig hergestellter Reiseführer, kurzum, an jenes Bild, mit dem wir heutzutage am meisten in Berührung kommen, das verwischte, degradierte, zum Massenprodukt entartete Bild. Richter holt es mit kräftigem Zugriff zurück in die Malerei; er kann mit dem Pinsel besser "photographieren" als die meisten Photographen mit dem Photoapparat, er enthüllt und entlarvt.“ Ah, ha! Bitte, wann war das? 1964! Heute, in einer Zeit, in der tief in den Kreativtopf Photoshop gegriffen wird, sind diese Sätze höchst aktuell. Mit der Fastfood-Malerei, dem virtuellen Zeichnen und dem Composing wird im angestammten Revier der Malerei gewildert - open end. Wie der Fototheoretiker Hubertus von Amelunxen jüngst fröhlich verkündete: Die Fotografie ist überall!
Vordergründig geht es bei den Ohffschen Texten um den ideologischen Kampfbegriff Realismus/Naturalismus – sozialistisch, kapitalistisch. Tatsächlich war es sein Anliegen, die Aufmerksamkeit auf den medialen Crash zu lenken, der schon in den 60er Jahren seine ganze Wucht entfaltet hatte: die Omnipotenz des fotografischen Bildes und die Unterwanderung des allgemeinen Bildbewusstseins. Heinz Ohff: „Sie (Gerhard Richter) haben ein Bildmedium der Zivilisation zum Anlass genommen, etwas Neues daraus zu machen, ein neues, und diesmal realistisches Bild, das nicht mehr der "komischen Meinung" ist, die Wirklichkeit erschöpfe sich in der gegenständlich sichtbaren Wirklichkeit. Da schwingt schon eher ein bisschen Zeitkritik mit. Ein Großteil unserer photoverseuchten Gegenwart beschränkt sich auf die erschöpfte gegenständliche Wirklichkeit – was für Bilder das sind, zeigt Richter in aller Kraßheit. Und zugleich, im Kunstgriff, verwandelt er sie, schlägt er dem Naturalismus ein Schnippchen, durchbricht er die gegenständliche Fassade, führt er die Photographie ad absurdum – und das will heißen, ins Realistische.“ Eine solitäre Diskussion, die damals die Protagonisten der Fotografie nicht erreichte. Es war die Zeit des Kalten Krieges, die Mauer teilte seit 1961, die Spione kamen aus der Kälte und Otto Steinert erklärte den einzigen ambitionierten Kunstversuch mit Fotografie im Nachkriegs-deutschland mit der Ausstellung „Subjektive III“ für beendet. August Sander erhielt das Bundesverdienstkreuz für sein vor fast dreißg Jahren geschaffenes Werk über die Weimarer Republik. Eine Zeit extremer Gegensätze, zugespitzt im Berlin der vier Alliierten auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges.
Und wieder Heinz Ohff am 28. März 1961 im Tagesspiegel: „Über der Museumsinsel ist halbmast geflaggt, wegen Zonen–Handelsminister Rau…. Das Gebäude, immer noch gleichsam im Rohzustand des Wiederaufbaus, macht einen düsteren Eindruck. Ein Katalog der Jubiläumsausstellung, die die Ankäufe seit 1945 zeigt, ist genauso wenig zu erhalten wie ein Führer durch die alten Bestände. "Vielleicht kommt der Katalog am Dienstag. Vier Mark soll er kosten. Aber nehmen Sie doch die ‚Schule des Sehens’ von 1957." Wahrscheinlich merkt man uns an, daß wir vom Westen kommen. Es wird hinzugefügt: "Sie ist noch von Geheimrat Justi und kostet nur 2 Mark 50." Ein Katalog über eine längst verschwundene Ausstellung. Wir kaufen ihn, es macht umgerechnet ja kaum 75 Pfennig aus und Justi war ein großer Mann. Eine elende Zeit, sie verfolgt hier sogar jeden bis ins Museum.“
In diesem Ohffschen Kabinettstück treten die Figuren jener Zeit auf: Der oben erwähnte Zonen-Handelsminister Heinrich Rau, zuständig für den Handel mit den West-Zonen; auf Qualität bedachte Museumsleute und „Tendenzler“; eine fürchterlich rote "Bäuerin" des russischen Halb–Expressionisten Archipow, die ins Zwanzigste Jahrhundert überleitet; großartige Neuerwerbungen, überwiegend Hauptwerke der Brücke Künstler“ - günstig eingekauft, die Provenienz hat damals niemanden interessiert, wir sind noch vor den Auschwitz-Prozessen.
„Wo es noch "moderner" wird, wird es dann allerdings atembeklemmend. Aus den dreißiger Jahren reichen noch Otto Nagel, der sentimentale Klassenkämpfer ("Das tote Kind") und Ehmsen, der einst der Neuen Sachlichkeit angehörte und heute so scheußliche Monstrositäten wie den "Empfang bei Präsident Ho Chi–Minh" malt, in diese triste Landschaft hinein.“ Es geht dann über den Edel-Kommunisten Heinrich Vogler bis hin zu „KP-Maillol“ Fritz Cremer. Und dann das gequälte Ende: „Der Mißklang wiederholt sich, beinahe noch schmerzlicher, wenn man später über den zugigen "Marx–Engels–Platz“ geht, auf dem die Domruine und das immer noch wie eine Baustelle aussehende Pergamonmuseum dem faden Beton–Prunk des Tribünenaufbaus an der Stelle des alten Stadtschlosses ausgeliefert sind.“ Der „Marx-Engels-Platz“ ist der heutige Schlossplatz und dort, wo die Tribünen für den Vorbeimarsch der Arbeiterklasse auf den Ruinen des Berliner Schlosses errichtet waren, soll demnächst das Humboldt-Forum gebaut werden. Dieser beklemmende Besuch im Jahre 1961 in Ost-Berlin, nur wenige Stationen vom Bahnhof Zoo und der dortigen Galerienszene entfernt, hebt einen Vorhang über ein eigentlich bekanntes Szenarium: Die heutigen Verantwortlichen für die Berliner Museumslandschaft sind Kinder jener Zeit, in der Denken als ideologische Tonnenware gehandelt wurde. Der Wiederaufbau der Museumsinsel ist aus dieser Sicht eine nationale Kulturpflicht, alles weitere - auch das Zeitgenössische – hat zurückzutreten. Aber wo sind die „Ankäufe 1990 bis 2007“ der auf Qualität bedachten Museumsleute? Wo ist die zeitgenössische Fotografie, deren Fehlen ja schon vor 1990 unübersehbar war? Es gibt keine günstigen Nachkäufe auf dem grauen Markt mehr, wie weiland nach 1945, die Preise steigen. Leicht ins Aktuelle gewendet der letzte Satz im Ohffschen Traktat: „Der Trauerflor über dem Haus Jebensstraße 9, in dem seit Jahren das Deutsche Fotomuseum in dem obersten Stockwerk verbannt in kriegsversehrten Räumen fristet, ist das Letzte, was man sieht, wenn man sich in der S–Bahn vom traditionsreichen Bahnhof Zoo in Bewegung setzt, um in Richtung Mitte davonzudonnern.“ Die „Tendenzler“ sind immer noch unter uns.


Zitierte Artikel:
Der Tagesspiegel, 27. November 1964
Eine liberale Generation? Ausstellung von Gerhard Richter


Der Tagesspiegel, 13. Dezember 1966
Der vertauschte Naturalismus. Ausstellung Gerhard Richter – Galerie Block in neuen Räumen


Der Tagesspiegel, 28. März 1961
Halbmast über der National–Galerie.Der Osten zeigt zum hundertsten Jubiläum seine "Neuankäufe seit 1945" – Kunst und Agitation zweiträchtig beieinander


Die vollständigen Artikel sind in der Rubrik "Ikon Archiv" zu finden. Sie stammen aus dem jüngst veröffentlichten Buch: „Lesebuch Heinz Ohff“. Wissen, Erfahrung, Neugier – der Kunstkritiker Heinz Ohff.
Herausgeber Dr. Ekhard Haack + Lothar C. Poll. Info-Press Verlag,
Berlin 2007.


Dank an die Herausgeber für die Überlassung der Texte.

25.08.2007


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